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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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die gewaltigen Blumen, die in wirrer Vielfalt heller Farben wuchsen, in der Nähe als isolierte Blüten auf dem grünen Hintergrund, doch wenn das Auge zum Horizont wanderte, schienen sie dicht das ganze Land zu bedecken. Jedes ellipsenförmige Blatt hatte die Größe von drei oder vier Beeten; sie wuchsen in dichten Büscheln auf gewaltigen Zweigen, die wiederum aus unglaublich dicken Ästen entsprangen, welche nur als angedeutete Umrisse unter dem fast gestaltlosen Blätterteppich lagen.
    Das Ganze rollte und wellte sich leise in der sanften Brise mit einem seufzenden, rauschenden Klang, nicht unähnlich dem einer leicht bewegten See. Dieser Wind, der meine sonnenwarme Haut streichelte und mein Haar zauste, schien eine organische Verbindung zwischen meinem Körper und der lebenden, atmenden Landschaft der Baumwipfel herzustellen – ein Atem, den ich mit dem des Bloomenveldts zu teilen schien, der seinen Geist mit meinem einte.
    Naturellement war es Omar, der als erster das Schweigen dieses ergreifenden Augenblicks brach. »Stellt eure Schwebegürtel auf ein Zehntel Schwerkraft und folgt mir, meine Kinder!« rief er, und sofort darauf trieb er hinab, bis er den Fuß auf ein gewaltiges Blatt setzen konnte. Seine Füße berührten kaum das Blatt, da warf er sich mit einem brüllenden Lachen wieder hoch in die Luft und beschrieb einen weiten, trägen Bogen, der ihn gut fünfzehn Meter weit trug, bis er abermals aufsetzte. Dann machte er gewandt kehrt und warf sich auf dieselbe Weise wieder zu uns zurück, um wie ein hüpfendes Insekt direkt unter uns zu landen.
    »Kommt, kommt, wenn ein alter mystischer Libertinist wie ich frei durch die Baumwipfel springen kann, dann solltet ihr Kinder diese Kunst im Handumdrehen lernen können!«
    Guy und ich wechselten einige Blicke, zuckten die Achseln, grinsten uns an, regelten unsere Schwebegürtel nach und entdeckten bald, daß er recht hatte. Es erinnerte an Sprünge auf einem Trampolin oder an ein Ballett in der Schwerelosigkeit. Ein großer Sprung erforderte bei dieser niedrigen Schwerkraft kaum Energie; bei der Landung verrenkte man sich nicht die Knöchel oder Knie, und das erhabene Gleiten dazwischen schien das ästhetische Äquivalent des Vogelflugs zu sein. Bald machten wir aus reiner Freude an der Sache luftige Kapriolen, drehten uns in Überschlägen und Lufträdern, wechselten plötzlich die Richtung, stießen uns mit den Händen ab, flogen rückwärts und landeten auf den Füßen.
    »Ich werde müde, zwei so typische Bloomenkinder zu beobachten«, sagte Omar schließlich. »Sollen wir die Führung fortsetzen?«
    Und das taten wir dann während der nächsten Stunden. Wir gewöhnten uns an die Anblicke, die Geräusche und das Gefühl des Bloomenveldts, wurden unter dem Schutz unseres mystischen, libertinistischen Führers vertraut mit dem Wunderland der Baumwipfel.
    Einerseits schien das Bloomenveldt überall gleich auszusehen, doch andererseits gab es nicht zwei gleiche Ausblicke. Hier in diesem luftigen Zauberland fanden sich keine geographischen Orientierungspunkte – nur ein endloses, rollendes, sich wiegendes Feld von Zweigen und Ästen, formlos und fließend wie die Wellen des Meeres. Das war die unterschiedslose Gleichartigkeit des Bloomenveldts.
    Doch auf diesem grünen Meer trieb eine Fülle von Blumen, deren Gleichartigkeit nur in ihrer riesigen Größe bestand, denn sie schienen in einer atemberaubenden Vielfalt von Formen und Farben zu wachsen. Große gelbe Blüten in der Größe einer Tafel mit spitzen schwarzen Stacheln wie gußeiserne Speere. Sträuße violetter Glocken, jede mannsgroß, hingen von einem Zentralstamm herab. Karminrote, mit einer Flüssigkeit gefüllte Becher, groß genug, um uns als Badewanne zu dienen. Jeden Augenblick war eine größere Vielfalt gewaltiger Blüten zu sehen, als die Erinnerung behalten wollte. Die Früchte waren auf ähnlich verwirrende Weise verschieden; sie waren unter Blumen versteckt, hingen dazwischen an Stengeln oder verbargen sich in den Schatten, wo die Blattstiele den Zweigen entsprangen.
    »Wie ist es möglich, daß ein solches Durcheinander verschiedener Blumen auf Bäumen wächst, die nach den Blättern zu urteilen alle von der gleichen Art sind?« fragte ich Omar schließlich.
    »Ich bin ein Poet, kein Botaniker«, gab er zurück. »Aber soweit ich gehört habe, produziert jeder der nach unseren Begriffen unglaublich langlebigen Bäume genetisch heterogene Blüten, die sich selbst gegenseitig befruchten,

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