Kinder der Dunkelheit
gedrungen waren.
Der Herzog schluckte, denn noch nie in seinem Leben war er einem sterbenden Menschen so nahe gewesen. „Don Ricardo, was Ihr mir erzählt, ist unfassbar. Ich kann nicht verstehen, wie meine Tochter sich zu solch einer Dummheit hat hinreißen lassen können! Ich wusste von ihrer Schwärmerei für den jungen Mauren, doch ich hätte niemals gedacht, dass sie so weit gehen würde.“
Der Don klopfte dem aufgebrachten Herzog jovial auf die Schulter. Ihm war wohl bewusst, dass dieser gerade seine Felle davonschwimmen sah, hatte er doch zur Festigung des eigenen Standes und des eigenen Vermögens so sehr auf eine reiche Heirat seiner Tochter gehofft. Doch der Don beruhigte ihn rasch, schließlich hatte er keine Minute lang in Erwägung gezogen, die schöne Ana aufzugeben. Sich ihren Vater allerdings ein wenig kleinzuhalten, das war schon eher nach seinem Sinne. Der Adlige sollte wohl wissen, dass nur der Großmut seines zukünftigen Schwiegersohns ihn hier vor einem handfesten Skandal bewahrt hatte.
„Seid unbesorgt, mein Lieber, meine Männer werden schwe igen, niemand wird auch nur andeutungsweise etwas davon erfahren.“
Der Don nahm seinen Arm von den Schultern des Herzogs und zog sich die ledernen Reithandschuhe aus. Langsam wie ein lauerndes Raubtier begann er, den hilflosen Mohammed zu u mkreisen. Er ließ sich eine Reitgerte reichen und tippte Mohammed damit auf die blutige Brust. „Hörst du mich, mein Freund? Bist du bei Bewusstsein? Na komm, nun gönn mir doch auch ein wenig Spaß! Du wirst mir doch nun nicht feige unter den Augen wegsterben? Das kannst du nicht tun, nachdem ich schon deine komplette Familie sterben sah – und glaube mir, ich habe gelitten dabei, das mit ansehen zu müssen. Vor allem deine wunderbare Mutter, welch eine Vergeudung! Nun will ich mit dir schon noch etwas Freude haben.“
Als der Don in der tödlichen Stille den letzten Satz ausgespr ochen hatte, bäumte sich Mohammed an seinem Marterpfahl auf. Er war nicht mehr in der Lage, einen klar artikulierten Satz über die Lippen zu bringen. Doch aus den mühsam gestammelten Worten konnte jeder der Anwesenden die Drohung „Ich werde dich töten!“ heraushören.
Schallendes Gelächter war die Antwort auf Mohammeds ve rzweifelte Reaktion. Don Ricardo verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust.
„Du meinst also, ich soll dich losbinden, mein junger Freund? Ich bezweifle, dass du noch genug Haltung wirst bewahren kö nnen, um mir gegenüberzutreten. Lass es mich so ausdrücken: Du bist etwas schwach auf den Beinen.“
Der Don beugte sich nach vorn und tippte Mohammed erneut mit der Gerte auf die Brust. „Du musst wissen, dass hier offe nsichtlich ein großer Irrtum vorliegt, und zwar auf deiner Seite, mein Lieber. Du bist der, der heute hier sterben wird. Aber ich möchte dich nicht unwissend in den Tod gehen lassen. Kannst du mich verstehen? Bist du noch bei uns?“
Als sein Gefangener die letzte Kraft zusammennahm und den Kopf hob, legte ihm der Don den Griff der Reitgerte unter das Kinn. „Ah, sieh da, er hat noch mehr Lebensgeister in sich, als man für möglich halten würde. Ihr seid zäh, Mohammed al Hassarin, so gönnt Ihr mir mehr Freude, als ich zu erwarten hoffte.“
Mohammed rang nach einer Antwort, doch es war nur ein zähes Gurgeln, das aus seinem geschundenen Körper kam.
„Spar dir deine Kraft, Maure, überlass das Sprechen lieber mir. Ich wollte dir nur noch erzählen, dass ich bereits seit einigen Tagen die von den Königlichen Hoheiten Ferdinand und Isabella unterzeichneten Dokumente in Händen halte, die euren Besitz an mich übertragen. Ordnung muss sein. Nachdem in dieser Nacht deine geliebte Familie leider von uns gehen musste, steht nun einem Umzug in euer wundervolles Anwesen nichts mehr im Wege. Wer sollte mich auch daran hindern, als rechtmäßiger Besitzer? Doch was mich am meisten erfreut, mein lieber junger Freund, ist die Tatsache, dass meine reizende Verlobte dort mit mir residieren wird. Wie hat sie von den herrlichen Gärten des Anwesens geschwärmt! Nun wird sich ihr Wunsch, dort zu leben, erfüllen. Ist das nicht wundervoll? Ich werde Herzogin Ana die Welt zu Füßen legen. Dass diese Welt – oder vielmehr der Blumengarten – mit dem Blut deiner Familie getränkt ist, werde ich ihr aber lieber verschweigen.“ Sichtlich zufrieden mit seiner Rede an Mohammed trat der Don einen Schritt zurück, um nur ja keine Regung seines gepeinigten Gefangenen zu
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