Kinder der Dunkelheit
Gedanke verfestigt, dass ihn eines Tages sein Weg über diese endlose Wasserfläche führen würde, weit weg, in ein anderes Leben – eines, das er noch nicht kennengelernt hatte. Vielleicht, irgendwann! Das Summen des Mobiltelefons riss ihn aus seinen Träumereien und brachte ihn zurück in die Gegenwart. Sein Vater sah auf das Display und ein Lächeln huschte über seine Züge.
„Sie sind es.“ Er nahm das Gespräch an. „Was habt ihr mir zu berichten?“
Ares sah sofort, dass die Nachrichten gut waren. Er hatte nichts anderes von seinen besten Kämpfern erwartet. Gern wäre er dabei gewesen, doch sein Vater hatte davon nichts hören wollen. Viel zu groß sei die Gefahr, dass doch einer der „Hüter“ zugegen war. Diese Kämpfer waren schier unbezwingbar, von ganz besonderem Blut.
Er dachte nicht im Traum daran, Ares dieser Gefahr auszuse tzen, bevor es unbedingt nötig war. Jetzt wandte er sich lächelnd an seinen Sohn, das Telefon noch immer am Ohr. „Gute Arbeit, Ares! Sie haben ihn, es ist alles gut gegangen. Seine ganze Gefolgschaft wurde getötet. Wir haben das nächste Ziel erreicht.“ Er starrte eine kleine Weile schweigend vor sich hin, dann knurrte er den letzten Befehl für diese Nacht in das Handy.
„Tötet ihn! Aber sagt ihm noch, wem er seinen Tod verdankt und seht ihm dabei in die Augen. Ich will wissen, wie er reagiert! Lasst das Telefon an!“ Er hielt Ares das Handy entgegen und beide starrten es angespannt an. Dann erklang, deutlich hörbar, der entsetzliche Todesschrei eines Menschen. Ares’ Vater bee ndete das Telefonat mit einem Knopfdruck und lächelte zufrieden.
„Im Tode erfuhr er, dass der Große, der Unbesiegbare, dass ich lebe. Und nun sollen es auch die anderen erfahren.“
„Luca?“
„Ja, meine Liebe?“
„Du weißt, dass ich mir so meine Gedanken mache? Ich bin leider nicht einfältig genug, um mich einfach nur in dieses –zugegeben, wundervolle – Märchen fallen zu lassen. Schließlich habe ich eine Ausbildung und einen Verstand, den ich weiter zu nutzen gedenke. Irgendwann möchte ich wieder arbeiten. Ist das ein Problem?“
Luca wehrte sofort ab. „Mitnichten. Ich wäre überrascht gew esen, wenn du deinen hübschen Kopf nicht mehr genutzt hättest. Was hast du denn eigentlich genau studiert? Ich weiß nur, dass du auf der Universität in München warst.“
„Chemie, später dann noch ein paar Semester Pharmakologie. Ich war ziemlich gut, denke ich. Also würde ich das auch gern weiter machen. Dazu beizutragen, Menschen zu heilen, fand ich schon immer eine wunderbare Sache. Und schließlich hat ja nicht jeder Blut, das die moderne Medizin zur Bedeutungslosigkeit degradiert, nicht wahr?“ Sabine sah Luca herausfordernd an, doch der nahm sie nur lächelnd in die Arme.
„Nein, das hat nicht jeder und auch wir behandeln mit normaler Medizin, wenn sie helfen kann. Ich habe dir doch erzählt, dass Raffaele ein Heiler ist? Er kann nicht nur mit unserem Blut heilen, das wäre ihm zu banal. Schon seit ich denken kann, vollbringt er mit reinen Naturmitteln wahre Wunder, die selbst mich immer wieder verblüffen. Mein Freund weiß Dinge, die sonst wohl nur noch sehr, sehr wenige kennen. Dank seines hohen Alters konnte er Wissen ansammeln, das Normalsterblichen auf ewig verwehrt bleibt.“
Sabine war wie elektrisiert. „Er arbeitet mit Homöopathie? Das ist ja faszinierend! Seit wann macht Raffaele denn das schon?“
„Na ja, so … zweitausend Jahre?“
Sabine hielt in der Bewegung inne und drehte sich wie in Zei tlupe zu Luca um. „Ich hab mich wohl gerade verhört! Ich habe ,zweitausend Jahre‘ verstanden. Das kann nicht sein, oder?“
„Doch.“
„Oh Himmel, Luca, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Er kann doch nicht so alt sein, so toll, wie er aussieht! So etwas ist absolut unmöglich. Wir haben 2010. Das würde ja bedeuten, dass ...“ Ihre Augen weiteten sich.
„... er Jesus gesehen hat?“ Luca vollendete den Satz, den Sabine nicht auszusprechen wagte.
Sie stand etwa einen Meter vor Luca und sah ihn ungläubig an. Dann schüttelte sie heftig den Kopf. „Nein, das hat er nicht. Oder hat er etwa ...?“
„Schon gut, schon gut, ich erzähle dir, was ich weiß. Raffaele ist einer unserer Ältesten. Ganz genau weiß er es selbst nicht, aber er dürfte so um das Jahr fünf vor Christus das Licht der Welt erblickt haben. Er wurde als Kind der Dunkelheit geboren und sofort in Abdallahs Familie gegeben. Seine Herkunft ist
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