Kinder der Dunkelheit
Gefühl, alles ginge nur langsam und stockend voran. Wenn er ehrlich zu sich war, wusste er, dass damit allen Unrecht getan wurde. Die Menschen, die er in der langen Zeit für sein Gefolge ausgewählt hatte, waren ihm treu ergeben. Sie hatten bereits diverse Male tapfer gekämpft und seinen Feinden schmerzhafte Blessuren, nicht nur körperliche, zugefügt. Söhne und Töchter waren gestorben, weil er ihre Eltern in Verzweiflung stürzen wollte. Enkel wurden geopfert, um bei denen Tränen zu sehen, die ihm einst alles genommen hatten.
Vor wenigen Tagen war Ares von seiner Reise aus dem Iran zurückgekommen. Wie immer war alles perfekt organisiert gewesen und Ares wusste bereits, wo er die Suche beginnen musste. Die Vorbereitungen waren getroffen worden und er hatte seine besten Männer dort, in der verlassensten Gegend dieses großen und einst so wundervollen Reiches, strategisch günstig platziert. Das Schloss des Fürsten, den er am allermeisten hasste, galt als uneinnehmbar – und nicht nur das. Wie bei all den anderen wusste man nie genau, wo er sich tatsächlich aufhielt. Gerade er hatte Dutzende dieser Schlösser und Festungen, von denen niemand genau wusste, wer sie augenblicklich bewohnte. Ares aber war es gelungen, herauszufinden, wann der Fürst endlich angreifbar war. Sobald es vollbracht war, würde dies nicht nur den ersten vernichtenden Schlag bedeuten, sondern auch eine Lücke hinterlassen, die nie mehr geschlossen werden konnte. Er war der Älteste von allen Kindern der Dunkelheit, er galt als „Das Licht“ und er nähme all sein Wissen mit in den Tod. Törichter alter Mann, hatte sich an die Regeln gehalten und sie über so unendlich lange Zeit verteidigt und geheim gehalten – nun würde es ihm alles nichts mehr nützen.
Böse lächelte er in sich hinein. Ohne Führung würden seine Feinde hoffentlich endlich die Schwäche zeigen, die er für seine Pläne benötigte. Warum riefen seine Männer nicht an? Es musste doch längst so weit sein? Allerdings hätte er gern Ares an seiner Seite gehabt, wenn er den langersehnten Befehl gab. Diese Genugtuung nach solch langer Zeit wollte er mit ihm teilen.
Fast, als hätte Ares den geheimen Wunsch seines Vaters gehört, klackte an der Haupteinfahrt der Sperrmechanismus für das große Tor. Nahezu zeitgleich ertönte das tiefe Wummern der schweren Harley seines Sohnes. Zufrieden ließ er sich in einem der bequemen Sessel nieder und lehnte sich entspannt zurück. Nun, da Ares wieder hier war, würde alles so ablaufen wie geplant, dessen war er sich sicher.
Wenig später kam der so ungeduldig Erwartete leichten Schri ttes die Wendeltreppe zum Dach hochgelaufen. Seine langen dunkelblonden Haare waren etwas zerzaust, sein edles Gesicht vom Fahrtwind ein wenig gerötet. Gut einen Kopf größer als sein Vater, mit dem Körper einer römischen Statue ausgestattet und mit weichen, engelsgleichen Gesichtszügen gesegnet, die ihm einst seine griechische Mutter vererbte, täuschte das schöne Äußere über die Kälte im seinem Inneren hinweg. Von klein auf durfte Ares nie Gefühle erleben, die anderen Kindern zuteilgeworden waren. Zärtlichkeit, Geborgenheit, Zuneigung und Liebe waren ihm fremd, denn sein Vater hatte ihn mit Hass genährt und den Zorn in sein Herz gepflanzt. Er war ein kalter, berechnender Mörder mit dem Gesicht eines Engels. Voller Genugtuung sah der Mann seinem Sohn entgegen, als der nun auf ihn zukam.
„Vater, du hättest mitkommen sollen! Es war ein wirklich schönes Fest, für alle Sinne war etwas geboten. Auch willige Nahrung in Hülle und Fülle.“ Ares grinste in sich hinein.
„Es freut mich, dass du dich amüsiert hast, mein Sohn. Nur ist heute, wie du weißt, eine ganz besondere Nacht. Es war mir wichtiger, den Anruf nicht zu verpassen. Vergiss nicht, dass sie von dort aus mit dem Funktelefon agieren müssen.“
Ares Gesicht wurde schlagartig ernst. „Stimmt, es muss jeden Moment so weit sein, es ist alles vorbereitet. Sie werden niemals damit rechnen, dass sie erwartet werden.“
Beider Blick fiel auf das Telefon, das noch immer still auf dem Tisch lag. Gedankenversunken starrte Ares dann hinaus auf das Meer. Auch er liebte die Weite, doch tief in seinem Inneren war da auch noch etwas anderes. Etwas, das ihn selbst wohl am meisten überraschte: die Hoffnung auf ein Leben ohne dauernden Kampf. Gut, er würde alles für seinen Vater tun, aber über neunhundert Jahre Hass zehrten mittlerweile an ihm. In seinem Kopf hatte sich der
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