Kinder der Ewigkeit
in dem Minerale und Metalle die Rolle von Aminosäuren übernehmen und die inhärente Eigenschaft aufweisen, sich zu größeren Strukturen anzuordnen. In Tears Universum sind Magister natürliche Lebensformen und haben damit begonnen, erste organische Lebensformen künstlich zu erschaffen.«
Erebos legte eine kurze Pause ein, und Esebian wartete erneut, in der Hoffnung, Zusammenhänge zu entdecken.
»Magister sprechen auch über die Lichtbrechung von Tautropfen auf Blättern, die in einem bestimmten Winkel geneigt sind«, fuhr der Brainer im Becken vor Esebian fort. »Sie diskutieren die besten Rotübergänge bei der Abenddämmerung auf Claman und die Muster, die das Glitzern auf den Wellen von Aquaria formt, wenn dort die Trisonne ein gleichschenkliges Dreieck am Himmel bildet. Und manchmal sagen sich die Magister einfach nur Guten Tag.« Wieder ein Kratzen im Artikulator. »Für all diese Dinge verwenden sie einige wenige Sekunden, Esebian. Während des weitaus größten Teils ihrer Kommunikation tauschen sie mathematische Symbole aus, und das sind die mit Abstand interessantesten Gespräche.«
Die Flüssigkeit im Becken kräuselte sich stärker, als das Gehirn darin in Bewegung geriet. Wie ein grauer, teilweise in sich zusammengefalteter Wal glitt es fast einen Meter weit zur Seite, und kleine Wellen liefen zum Rand des Beckens. Esebians Hände waren noch immer fest ums Geländer geschlossen, obwohl die Knie nicht mehr weich waren und sich der Schmerz verflüchtigt hatte.
»Sie haben eine ganz neue Art von Mathematik entwickelt«, sagte Erebos. »Ihre Abstraktionsschichten sind mir noch immer größtenteils ein Rätsel, obwohl ich mich seit zweihundertachtzig Jahren damit befasse, seit meiner Ichwerdung. Die Magister verwenden ein … Rechenmuster, das die Wellenfunktion aus der Mikrowelt der Quantenmechanik in die uns vertraute Makrowelt holt.«
Das kurze Zögern wies Esebian darauf hin, dass Erebos einen Begriff verwendete, der nicht ganz den Kern der Sache traf und ihm das Verstehen erleichtern sollte.
»Ich kann dieses Rechenmuster inzwischen in groben Zügen nachvollziehen, aber ich bin noch immer nicht in der Lage, den in der Verwendung der Wellenfunktion zum Ausdruck kommenden Wahrscheinlichkeitsfaktor richtig zu bewerten. Ich weiß nur, dass er eine wichtige Rolle spielt – das geht aus meinen Analysen klar hervor. Außerdem bin ich nicht über die Abstraktionsschicht eins hinaus, während die ältesten Magister inzwischen bei Nummer vierundzwanzig angelangt sind. Ich versuche noch immer, das Fundament des Gebäudes zu verstehen, während sie dabei sind, den vierundzwanzigsten Stock einzurichten.«
»Aber du hast trotzdem das eine oder andere herausgefunden«, sagte Esebian, als Erebos erneut eine Pause einlegte. Er fragte sich, wie viel ihm von der halben Stunde blieb, die Jacinta erwähnt hatte.
»Mithilfe des Rechenmusters, ja«, bestätigte der Brainer. »Die Magister sprechen in diesem Zusammenhang übrigens von ›Algo-Stochastik‹, vielleicht in Anlehnung an das, was wir einmal ›stochastische Algorithmen‹ genannt haben – bei ihnen wird daraus so etwas wie ›algorithmische Stochastik‹. Um es sehr vereinfacht auszudrücken: Es handelt sich um eine neue Art von Wahrscheinlichkeitsrechnung, deren randomisierte Algorithmen nicht nur Antworten wie ›ja‹, ›nein‹ und ›ich weiß nicht‹ zulassen, sondern fast unendlich viele Zwischenstufen. Das Fast ist wichtig, Esebian. Es macht den Unterschied aus zwischen reiner Raterei und der Bestimmung von Ereignisketten, aus denen irgendwann vorausberechnete Situationen entstehen.«
»Eine Art … mathematische Futurologie?«, fragte Esebian.
» Sehr simpel gesprochen, ja. Nun, die erste Abstraktionsebene der Algo-Stochastik hat es mir ermöglicht, Kardinalpunkte zu identifizieren. Stell sie dir als die Punkte vor, an denen kleine Steine in einen Teich fallen. Konzentrische Wellen gehen davon aus und verändern die Oberfläche des Sees, und wo mehrere solche Wellen aufeinandertreffen, kommt es zu weiteren Veränderungen, zu neuen kleinen Wellen. In diesem Fall ist der Teich das Direktoriat, und es gibt Kanäle, durch die die Wellen noch weiter wandern können.«
»Die Filigrane.«
»Ja. Es sind bereits viele Steine in den Teich geworfen worden, und es gibt immer mehr Wellen, die sich gegenseitig beeinflussen und ihrerseits neue Wellen erzeugen. Ich habe Lukas darauf hingewiesen. Ich habe ihm gesagt, dass sich der Vorgang beschleunigt
Weitere Kostenlose Bücher