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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Begleitet von zwei Fürsorgern trat eine junge Frau nach draußen und blinzelte im Sonnenschein. Glattes silberblondes Haar fiel auf ihre schmalen Schultern, und sie lächelte, als sie Esebian auf der Bank bemerkte. Sie näherte sich, erst mit vorsichtigen Schritten, als traute sie ihren Beinen oder dem Boden nicht, dann schneller.
    »Danke«, sagte Esebian.
    »Gern geschehen, El'Esebian«, summte die Drohne. Und sie fügte hinzu: »Regeln sind nicht ehern. Ausnahmen sind möglich.« Damit schwebte sie fort.
    Esebian stand auf und streckte Leandra die Hand entgegen. »Wie fühlst du dich?«
    Sie lächelte noch immer. »Irgendwie … anders.«
    »Du bist jetzt Provisor. Es ist der erste Schritt zur Ewigkeit. Ich habe es dir versprochen. Für immer.«
    »Ja, für immer.« Sie ergriff seine Hand.
    »Ich dachte, wir verbringen die ersten Jahre hier auf Gondal«, sagte Esebian. »Der Magister hat ein Domizil für uns eingerichtet. Möchtest du es sehen?«
    »Unser Zuhause? Ja!«
    »Dann komm. Hinter dem Therapiezentrum steht ein Springer für uns bereit.«
    Hand in Hand gingen sie über den Kiesweg, der zur anderen Seite des Gebäudes führte.
     
     
    Esebian erwachte mitten in der Nacht und glaubte, von einem Schrei in der Ferne geweckt worden zu sein. Einige Sekunden lag er da und wagte kaum zu atmen, doch durch die offene Verandatür kam nur das sanfte Rauschen kleiner Wellen. Die neben ihm liegende Leandra schlief tief und fest, das Haar wie ein goldener Schleier auf dem Kissen ausgebreitet. Das Licht von zwei Monden fiel durchs Fenster und gab ihr etwas Engelhaftes.
    Nach einigen weiteren Sekunden stand Esebian auf, trat nackt wie er war auf die Veranda und ging über den Steg, der fünfzig Meter weit in den See ragte. Im Mondschein glänzte das Wasser wie Silber, und als er den Kopf hob, sah er nicht einen Magister am sternenbesetzten Himmel, sondern drei, direkt neben den Ringen von Lybecker. Die beiden anderen, vor einigen Tagen durch das wieder stabile Filigran eingetroffen, wirkten größer als Jae, weil sie sich in tieferen Umlaufbahnen befanden. Leuchtende Punkte lösten sich von ihnen, wie Funken oder Sternschnuppen: Orbitalspringer und Drohnen. Esebian wusste, dass die Gesandten der Magister und loyale Truppenteile der Garde die Transitmembran unter dem zerstörten Schrein benutzten, um das Dizadar-System zu erreichen und die dortigen Niederlassungen der Erlauchten unter Kontrolle zu bringen.
    Esebian senkte den Kopf und spürte, wie ihm kühler Wind über die Haut strich, als sein Blick den Wellen folgte und er sich fragte, ob er sie wirklich sah. Stand er hier, auf diesem Steg, in seinem Domizil auf der Hohen Welt Gondal? Oder …
    Oder was?, dachte er und spürte erneut Unbehagen. Er wusste nicht mehr genau, wann er zu zweifeln begonnen hatte. Wenn man überhaupt von »Zweifel« sprechen konnte – das Wort erschien ihm zu stark. Vielleicht in dem Augenblick, als sie vor einigen Wochen beim Therapiezentrum in den Atmosphärenspringer gestiegen waren, der sie hierher gebracht hatte. Er hatte geglaubt, etwas Seltsames in Leandras grünen Augen – fast so grün wie Jade – gesehen zu haben. Aber vielleicht lag es nur daran, dass sie jetzt selbst auf dem Weg zur Unsterblichkeit war.
    Und doch … Er erinnerte sich an die seltsamen Gefühle, die ihn manchmal erfasst hatten, wenn sie sich nahegekommen waren. Die Mentalistin Leandra, aus dem Hochsicherheitstrakt von Echaura geflohen, ein Multitalent mit einer Ichbezogenheit, die »mentalvampiristische Züge« gewinnen konnte. Wie stark hatte sie ihn verändert und … manipuliert?
    Die Frage, die er kaum zu denken wagte, lautete: Hält sie mich in einer Scheinrealität gefangen?
    War dies alles – Gondal, der See, das Domizil, seine Unsterblichkeit – eine Illusion? Gaukelte ihm Leandra eine falsche Wirklichkeit vor, vielleicht seit ihrer Begegnung im Filigranport des Haredion-Systems? Hatte sie sich während des Transitschlafs in sein Bewusstsein geschlichen? Oder konnte er es einfach noch nicht fassen, unsterblich zu sein und alles überstanden zu haben?
    »Esebian?«
    Er drehte sich um, und dort stand sie, nackt wie er, schön und verlockend. Der Wind spielte mit ihrem Haar. Es war kühl, aber sie rieb sich nicht die Arme. »Was machst du da?«
    »Nichts«, sagte er und fügte hinzu: »Ich genieße mein Leben.«
    Leandra streckte die Hand aus. »Lass es uns zusammen genießen.«

 
     
     
    Hier liegt einer,
    Dessen Namen man mit Wasser

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