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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Weg gibt. Aber ich habe mich geirrt. Du bist der Starke.«
    »Vielleicht gibt es keinen rechten Weg. Aber es gibt zweifellos Wege, die richtiger sind als andere. Für die eigene Unsterblichkeit zu töten … Das kann nicht richtig sein.«
    Caleb hebt die Arme und lässt sie wieder sinken. »Du hast dem verdammten Erlauchten gehört. Er hat uns manipuliert. Wir hatten keine Wahl.«
    »O nein, Caleb.« Esebian erkennt Calebs Worte als einen Rechtfertigungsversuch, als das Bestreben, Verantwortung abzulehnen und weniger Schuld zu fühlen. Die Gedanken und Emotionen hinter den Worten sind so klar, als wären es seine eigenen, und das sind sie auch. Denn Caleb ist ein Teil von ihm, ein Teil seines Lebens. Bestimmte Dinge hat er immer ihm überlassen, seinem Denken und Empfinden. So wie Caleb jetzt Schuld von sich weist, hat er selbst Schuld von sich gewiesen. Es ist alles so klar, so leicht zu verstehen. Wenigstens dies. »Man hat immer eine Wahl.«
    »Im Labyrinth hattest du keine«, sagt Caleb mit leisem Spott.
    Esebian lächelt kurz und spürt, dass der Moment zu Ende geht. »Du hast mich gerettet. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.« Er streckt die Hand aus. »Komm.«
    Caleb sieht noch einmal zu den Stahlblenden. »Ich würde wirklich gern wissen, was sich dort draußen befindet.«
    »Du wirst es erfahren. Wenn ich die Blenden abnehme. Wenn dies alles vorbei ist.«
    »Für mich ist es jetzt vorbei.«
    »Nein, das ist es nicht, Caleb. Du wirst immer ein Teil von mir sein. Wie auch die anderen. Alle zusammen sind … wir. Ich.«
    »Du.« Caleb seufzt schwer. »Ich hoffe, du hast Recht. Und ich hoffe, dass du Gelegenheit erhältst, die verdammten Blenden abzunehmen, damit ich einen Blick nach draußen werfen kann. Streng dich an, Esebian!«
    »Du kannst mir weiterhin helfen. Mit deiner Kraft. Mit deiner Entschlossenheit.«
    Caleb tritt näher und bleibt dicht vor Esebian stehen. Eine Träne löst sich aus dem rechten Auge und rinnt über eine Wange, die an Farbe und Substanz verliert. »Du ahnst nicht, wie sehr ich mir die Unsterblichkeit gewünscht habe. All die Wunder des Universums, und so wenig Zeit, sie zu bestaunen …«
    »Du wirst Zeit bekommen«, sagt Esebian. »Wir alle. Jahrtausende. Die Ewigkeit.« Er ergreift Calebs Hand, und sie löst sich in der seinen auf. Die Gestalt vor ihm wird zu einem Schemen, wie zuvor die anderen. Die Flamme des Lebens flackert einmal, und dann ist Caleb verschwunden, seine Stimme für immer verhallt.
    Aber er ist nicht tot. Esebian fühlt ihn in sich, in seinen Erinnerungen und Erfahrungen, als ein Kapitel seines Lebens. Er sieht sich noch einmal in dem stillen Raum um und blickt in die Schatten, aus denen keine Stimmen mehr flüstern, weil alle Stimmen zusammen zu seiner geworden sind. Schließlich wendet er sich vom Tisch ab, geht zu einer der Stahlblenden und streicht mit den Fingern über sie.
    »Ich habe es dir versprochen«, sagt er leise und versucht gar nicht, die Blende zu lösen, denn noch ist es nicht so weit. »Und ich verspreche es auch euch anderen. Ich führe euch in das Leben, das draußen auf uns wartet. Aber erst müssen wir dies hinter uns bringen.«
    Er kehrt zum Tisch zurück, und einige Sekunden lang – Teil eines Moments – blickt er in die gelbe, ruhig brennende Flamme. Dann beugt er sich vor und bläst sie aus.
     
     
    Der Mann war wortlos hereingekommen, und wortlos saß er da, seit inzwischen ein oder zwei Minuten, sah ihn einfach nur an. Gut fünfzig Scheinjahre war er alt: das Gesicht schmal, die Stirn hoch, das Haar dicht und graubraun. Er trug eine dunkelblaue Hose mit mehreren Taschen und silbernem Besatz an den Knien, darüber eine etwas hellere Jacke mit dem Hoheitssymbol des Direktoriats am linken Kragen und dem Kandidatenabzeichen des Residenten am rechten. Es war der Mann, den Esebian nach dem rettenden Transfer gesehen hatte, aber inzwischen bezweifelte er, dass es sich wirklich um eine Rettung handelte – er schien eher vom Regen in die Traufe geraten zu sein. Während ihn der Mann stumm musterte, vermutlich mit der Absicht, ihn zu verunsichern, versuchte Esebian seinerseits, einen Eindruck von ihm zu gewinnen. An seiner Intelligenz bestand kein Zweifel; sie zeigte sich deutlich im wachen Blick, dem nichts zu entgehen schien. Der Gesichtsausdruck war neutral, aber Esebian fühlte eine kühle Distanziertheit, die Ablehnung verbergen sollte. Dahinter gab es noch etwas anderes, das eine vage Erinnerung in ihm wachrief. Er wusste dies

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