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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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habe Ihre Erinnerungen aufgezeichnet, Esebian. Was auch immer Ihnen der Synchronisator gezeigt hat, ich werde davon erfahren. Was Sie betrifft …« In der rechten Hand des Unsterblichen erschien wieder die Stiftwaffe.
    »Ich bin nicht Esebian, sondern Caleb«, zischte Caleb. Die Schwäche war wieder da, denn noch immer fehlte die Verbindung zu seinen Erweiterungen. Zorn durchströmte ihn, aber es war ein hilfloser Zorn, der ihm keine neue Kraft verlieh. Die Erkenntnis, dem Ende ohnmächtig ausgeliefert zu sein, als ein zu völliger Passivität verurteilter Beobachter des eigenen Sterbens, war so bitter, dass er an dieser Bitterkeit fast erstickt wäre. »Haben Sie gehört? Caleb! «
    Der Unsterbliche maß ihn mit einem kalten Blick. »Wer schert sich um den Namen eines toten Mörders?«
    Schwach und reglos lag Caleb da, zornig auf El'Kalentar und die Ungerechtigkeit des Universums, enttäuscht davon, so kurz nach der Rückkehr zur Dominanz im gemeinsamen Körper die letzte aller Niederlagen hinnehmen zu müssen. Er suchte noch immer verzweifelt nach einem Ausweg und musste doch begreifen, dass es keinen gab. Er hatte seinen Zweck für El'Kalentar erfüllt, welchen auch immer, und jetzt kam der Tod.
    Caleb bemerkte das Prickeln erst, als der Transit schon begann, und seine Gedanken klammerten sich an diesem Rettungsanker fest: Ein Transferfeld erfasste ihn, und es stammte nicht von El'Kalentar.
    Der Unsterbliche bemerkte es im gleichen Augenblick, und wenn er überrascht war, so zeigte sich in seinem Gesicht nichts davon. Er betätigte den Auslöser der Stiftwaffe, und ein Funkenbündel sprang Caleb entgegen, brannte sich ihm heiß in die Brust, noch bevor das Transferfeld ihn ganz aufgelöst hatte.
    Der Schmerz war ein Schock, und für einige Sekunden gab es nichts anderes, nur diesen Schmerz, noch viel stärker als die vom Neuroprozessor ausgelösten Qualen. Dann erschien ein Gesicht über ihm, ein anderes Gesicht, schmal, mit hoher Stirn, das Haar dicht und graubraun. Ein Mann, der etwa fünfzig Scheinjahre alt war und am Kragen seiner Jacke neben dem Hoheitssymbol des Direktoriats, das ihn als Präfekten auswies, das Kandidatenabzeichen eines Residenten trug.
    »Ich sterbe«, stöhnte Caleb und spuckte Blut.
    »Das lasse ich nicht zu«, sagte der Präfekt. »Ich brauche Sie, Esebian.«

 
     
     
    Was kenn ich euch? Was sah ich euch? Warum
    Ist mein unsterblich Sein so außer sich
    Und nimmt all diese neuen Schrecken wahr?
     
GEBROCHENE SYMMETRIEN
55
     
    Dies ist ein weiterer Moment für die Flamme des Lebens in dem Raum, dessen Türen und Fenster hinter Stahlblenden verborgen bleiben. Sie brennt ruhiger als beim letzten Mal, bewegt sich kaum, und diesmal ist sie fast ganz gelb. Ihr Licht reicht nicht weit, und es fällt schwer, in den Schatten die beiden am Tisch sitzenden Personen zu erkennen. Während Esebian sie noch beobachtet, löst sich eine weitere Silhouette auf, und Talanna ist nicht mehr da.
    »Hast du dich jemals gefragt, was dort draußen ist?« Caleb deutet auf die Stahlblenden. »Hinter den Fenstern und Türen.«
    »Dazu hatte ich noch keine Gelegenheit«, erwidert Esebian und bleibt vor dem Kopfende des Tisches stehen. Es ist sein Platz, weiß er, aber er setzt sich nicht. Er steht lieber, vertraut seinen Beinen, die hier, an diesem Ort, nicht schwach sind und es nie sein werden. Frieden erfüllt ihn, eine ruhige Gelassenheit, wie er sie sich immer gewünscht hat. Mit einem kontrollierten mentalen Modus hat dies nichts zu tun, denn alles bleibt in Reichweite: jeder Gedanke, jedes Gefühl. Hier fehlt nichts; hier wird nichts gefiltert und ausgeklammert. Im Gegenteil: Er hat das Gefühl, zum ersten Mal in seinem Leben komplett zu sein. Und er kennt den Grund dafür.
    Caleb kennt ihn ebenfalls.
    »Keine Gelegenheit?«, wiederholt er. »Dies ist unser Leben, Esebian. Wir haben unser ganzes Leben in diesem Raum verbracht, in der uns vertrauten Welt.«
    »Eine Metapher«, sagt Esebian.
    »Ja.« Caleb tritt näher zur Flamme auf dem Tisch, und in ihrem Licht sieht Esebian, dass Caleb alt geworden ist. Und er wirkt unendlich traurig. »Eine Metapher. Aber sie nützt mir nichts, denn mein Leben geht hier zu Ende.« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe mich für viel stärker gehalten. Ich habe gedacht: Wer ist dieser Esebian schon? Nicht mehr als ein zwanzig Jahre alter naiver, pazifistischer Wissenschaftler, der glaubt, auf den ›rechten Weg‹ zurückkehren zu können. Wenn es überhaupt einen solchen

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