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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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zunächst nicht zu deuten, doch schließlich fiel es ihm ein: die Trauer, die Caleb – ausgerechnet ihn! – veranlasst hatte, eine Träne zu vergießen. Wer auch immer dieser Mann war: Tief in seinem Innern und so gut verdrängt, dass er vielleicht selbst nichts davon ahnte, gab es Trauer.
    »Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte der Resident.
    »Sie sind mein Retter«, sagte Esebian. »Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte El'Kalentar mich umgebracht.«
    »Sie glauben, dass es El'Kalentar war?«
    »Ganz sicher. Was Sie betrifft … Ich muss gestehen, dass ich Sie nicht kenne.«
    Der Mann im Sessel auf der anderen Seite des kleinen Tisches lehnte sich zurück. »Akir Tahlon, Präfekt der Hohen Welten und Erster Hochkommissar des Direktoriats. Ich habe die Fahndung nach Ihnen geleitet. Und jetzt sind Sie hier, an Bord meines Schiffes.«
    Esebian wusste, dass er ein Gefangener war. Es gab in diesem Raum keine Schirm- und Fesselfelder, und seine Gliedmaßen steckten auch nicht in Schellen irgendeiner Art. Das Gefängnis – der Kerker, aus dem es kein Entkommen für ihn gab – war sein eigener Körper. Er ruhte in einem Stützgerüst, wie es oft für Patienten verwendet wurde, die Rückenmark- oder Hirnstammoperationen hinter sich hatten und auf eine Regeneration der betroffenen Nervenzellen warteten. Ein transparenter, lebendiger Osmosefilm – vergleichbar mit dem Schwarmsymbionten, der ihm das Aussehen eines gewissen Isaac DelMeo gegeben hatte – umhüllte seinen grauen, ausgemergelten Leib, dessen Wunden sich gerade erst geschlossen hatten. Die offensiven und defensiven Systeme funktionierten nicht mehr. Esebian spürte nicht einmal ihre Präsenz – vielleicht waren sie ganz aus ihm entfernt worden, ebenso wie die Konverterzellen, die offenbar ebenfalls fehlten. Die übrigen Erweiterungen existierten zwar noch, aber ihre Funktion war eingeschränkt – entweder waren sie beschädigt, oder ein Neutralisierungsfeld hinderte sie daran, ihr volles Potenzial zu entfalten. Wenn sich Esebian ganz auf seinen Tastsinn konzentrierte, spürte er im Rücken etwas Weiches und Gummiartiges: synthetische Biomasse, die durch Hunderte von Kapillarwurzeln diffundierte und den Nanomaschinen in ihm als biologisches Baumaterial für Gewebereparaturen und die Neukonstruktion von Organen diente.
    »Ich habe El'Kalentar nicht ermordet«, sagte Esebian. »Es gibt also keinen Grund für Sie, mich festzuhalten.«
    »Ich bitte Sie.« Die dünnen Lippen des Präfekten formten ein humorloses Lächeln. »Ich weiß, wer Sie sind. Ich kenne alle, oder fast alle, Ihrer Identitäten. Sie haben zahlreiche Morde begangen, um sich damit einen Weg zur Unsterblichkeit zu erkaufen.«
    Esebian hätte seine Gedanken gern beschleunigt, aber er konnte nicht mehr in verschiedene mentale Modi umschalten. »Sie haben gesagt, dass Sie mich brauchen.«
    »Ich möchte … verstehen«, sagte Akir Tahlon langsam. Er stützte die Ellenbogen auf die Armlehnen und drückte die Fingerspitzen aneinander. »Was steckt hinter dem Mord, der gar keiner war? Wer gab Ihnen den Auftrag? Welche Rolle spielt das Netzwerk in diesem Zusammenhang?«
    Aurora, dachte Esebian und entsann sich an den Kommunikationschip mit der q-verschränkten Verbindung. Auf Lahor hatte er den Chip nicht verwendet, weil es nur diese eine Möglichkeit für ihn gab, noch einmal mit Erebos Kontakt aufzunehmen.
    »Was soll mit mir geschehen?«, fragte er. »Was haben Sie mit mir vor, Präfekt?« Er deutete durchs Zimmer. »Dies ist weder ein medizinisches Zentrum noch ein Penitenzinstitut. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin, aber bestimmt hätten Sie bereits Gelegenheit gehabt, mich der Justiz des Direktoriats zu übergeben. Dass ich mich noch an Bord Ihres Schiffes befinde, wie Sie sagen, hat zweifellos einen bestimmten Grund.«
    Der Mann im Sessel auf der anderen Seite des kleinen Tisches atmete tief durch. »Erzählen Sie mir, was im Labyrinth geschah. Schildern Sie mir Ihre Begegnung mit El'Kalentar.«
    Esebian musterte den Präfekten einige Sekunden lang und sah dabei die Trauer tief in seinen Augen etwas deutlicher. Vielleicht bot sich dort ein Ansatzpunkt.
    Er berichtete von seinen Erlebnissen im Labyrinth, ohne Titus Magobb und Aurora zu erwähnen. Er beschrieb die Restrukturierungen und temporalen Anomalien und wies darauf hin, dass El'Kalentar an den »wichtigsten Konnektorstellen« insgesamt vierundzwanzig Transferpole installiert hatte. »Er wusste, dass ich mich im Labyrinth befand,

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