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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Geschichten sind ihr Leben.«
    Während der nächsten Minuten schien Leandra darüber nachzudenken, und in einem Zwischenmodul des Transporters, in dem die Stimme des Schiffes zu einem fast melodischen Klimpern und Klirren wurde, sagte sie: »Wenn die Enha-Entalen für Geschichten leben, wenn Geschichten ihr Leben sind … Was ist dann Unsterblichkeit für sie? Gibt es Unsterbliche bei den Enha-Entalen, so wie bei uns Menschen?«
    Die Frage erstaunte Esebian fast ebenso sehr wie die Tatsache, dass Leandra nicht auf die Morde zu sprechen gekommen war. Ihre Neugier betraf praktisch alles, und dass sie ausgerechnet über etwas kein Wort verlor, das sie als schrecklich empfunden haben musste, erschien ihm seltsam. War alles ein Traum gewesen, hervorgerufen von der Distortion? Es hätte die sonderbare Bereitschaft erklärt, mit der er Leandra von Dannacker und seinen ersten beiden Morden als Evan Ten-Ten erzählt hatte.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er, als sie durch einen schmalen Gang wanderten, der zu einem der Sprunggeneratoren führte. Er wies violette Markierungen auf, was bedeutete, dass auch dieser Teil des Schiffes den Passagieren offen stand. »Vielleicht habe ich entsprechende Kenntnisse in einem externen Gedächtnis abgelegt, aber es wäre auch möglich, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht habe. Ich weiß nur, dass die Therapien viel zu sehr auf uns Menschen zugeschnitten sind, als dass sie auch bei Enha-Entalen oder den Angehörigen anderer Völker wirken könnten.«
    Leandra blieb stehen. »Hörst du das?«
    »Ja. Es wird gleich noch stärker. Und ich nehme an, dass wir beim Generator Gesellschaft haben werden.« Das Klimpern und Klirren wurde immer mehr zu einer Melodie, die durch Ohren und akustische Erweiterungen kroch, das Gehirn erreichte und sich dort mit subtilem Nachdruck durch die verschiedenen Schichten des Bewusstseins bohrte. Das Ergebnis waren … Offenbarungen, wie manche Leute meinten. Esebian vermutete, dass es sich eher um Phasenübergänge in der Psyche handelte.
    Der Sprunggenerator, einer von sieben, ragte wie ein gewaltiges graues Ei in einem mindestens fünfhundert Meter hohen Maschinensaal auf. Daten- und Energiestege aus flexiblen Suprawerkstoffen verbanden ihn mit einem Wald aus Aggregaten, von denen ein pulsierendes Brummen ausging, als ob sie für die Musik des aktiven Generators den Takt vorgeben würden.
    Leandra lächelte verzückt. Sie erlebte dies ganz offensichtlich zum ersten Mal, stellte der wachsame Teil von Esebian fest.
    Als sie den Weg über eine von mehreren nach oben führenden Rampen fortsetzten, zeigte sich, dass sie an diesem Ort tatsächlich nicht allein waren. Weit oben krochen Enha-Entalen durch transparente Tunnel, Techniker und Operatoren, die die Funktionsweise des Generators überwachten. Vielleicht befand sich unter ihnen auch ein Geschichtensammler, der die »Offenbarungen« der Passagiere aufnahm, die in der Nähe des Generators saßen. Esebian schätzte ihre Anzahl auf zwei oder drei Dutzend, aber es konnten auch viel mehr sein, denn weite Bereiche des Maschinensaals lagen in einem Halbdunkel, das Konturen verschleierte und Einzelheiten verbarg. Die visuellen Erweiterungen halfen Esebian hier nicht weiter. Seit einigen Stunden war ihre Funktion auch im Passagierbereich des Schiffes eingeschränkt, und hier, so nahe an einem der Ausgangspunkte für die Phasenverschiebung, erhielt er von ihnen nur noch wirre Bilder, mit denen er nichts anfangen konnte. Eins von ihnen zeigte ihm, wie sich seine Hände in Brei verwandelten und langsam auseinanderflossen. Esebian schaltete die entsprechenden Erweiterungen aus, und seltsamerweise ging ein vages Schwächegefühl damit einher.
    »Es kitzelt«, sagte Leandra. Sie lächelte noch immer, hob die Hände und berührte die Schläfen mit den Fingerspitzen. »Im Kopf.«
    Esebian fragte sich, wie sich die Nähe der Phase auf eine Mentalistin auswirken mochte. Vielleicht war es falsch, Leandra an diesen Ort geführt zu haben. Er wollte gerade warnende Worte an sie richten, als sie sich wieder in Bewegung setzte und über die Rampe eilte. Sie schien sich in dem Halbdunkel besser orientieren zu können und bereits eine Stelle ausgesucht zu haben: eine kleine Plattform, etwa fünfzig Meter weiter oben am Rand der Rampe, wenige Meter vom Sprunggenerator entfernt.
    »Sind die anderen hier, um der Musik zu lauschen?«, fragte Leandra auf dem Weg nach oben.
    »Die Musik ist nur das Mittel«, erwiderte Esebian. »Die

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