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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ihn.
    Und das Herz sagt, viel lauter: Er ist Doyen. Siehst du das Abzeichen? Er hat es schon bis zur dritten Stufe gebracht. Seine Geschäfte müssen recht einträglich sein.
    Und die Seele schreit: Sie sind tot! Darrell und Tanya … sind tot! Für immer. Du wolltest ihnen den Weg zur Unsterblichkeit öffnen, aber dieser Pfuscher, der nur an seinen eigenen Vorteil denkt, hat ihnen das ewige Nichts beschert.
    Die Kälte wich aus einem Teil von Winford – er spürte Wärme an den Händen. Warmes Blut aus der Kehle des Korrektors. Das Messer steckte so tief im Hals, dass die Spitze auf der anderen Seite wieder zum Vorschein kam. Er ließ das Heft des Messers los, öffnete dann auch die andere Hand, die den Mann festgehalten hatte, und Mandap Justian fiel zu Boden, in seinem weißen Hemd, das vorn rot geworden war. Er röchelte und zuckte noch einige Sekunden, aber dann blieb er reglos liegen.
    Irgendwann später saß Winford im Atmosphärenspringer, starrte auf seine blutbesudelten Hände und versuchte sich zu erinnern. Er sah Justian am Boden liegen, tot, aber plötzlich fragte er sich, wie lange er tot bleiben würde. Er hätte seine Leiche verbrennen, die Asche nehmen und irgendwo verstreuen sollen, um eine Rekonversion zu verhindern. Und was war mit Backups? Vielleicht hatte Mandap Justian seine Erinnerungen in irgendeinem Archiv abgelegt, wo sie nur darauf warteten, ins rekonvertierte Bewusstsein übertragen zu werden.
    Und dann begriff Winford, was er getan hatte.
    Er hatte ein Leben ausgelöscht. Seine Hand war schneller gewesen als seine Gedanken und hatte ihn zu einem Mörder gemacht.
    Als der Atmosphärenspringer abhob und weit über die Dächer der Stadt aufstieg, erschien das junge Paar vor Winfords innerem Auge. Die beiden hatten ihn gesehen, das Blut an seinen Händen und an der Kleidung, die Leere in seinem Gesicht, als er nach draußen gewankt war.
    »Flugziel?«, fragte der Springer.
    »Zurück.« Es war ein unverständliches Krächzen. Winford räusperte sich. »Bring mich zurück, dorthin, woher wir gekommen sind.«
    Der Atmosphärenspringer kletterte noch weiter am Himmel hoch, beschleunigte und flog nach Norden.
    Winford versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die beiden jungen Leute würden den Toten finden, und ihrer Erinnerung ließ sich ein Bild von ihm entnehmen. Wie viel Zeit blieb ihm? Wie lange dauerte es, bis die Observanten benachrichtigt wurden? Wann würden sie in Detorres eintreffen, ihn identifizieren und dann ins kleine verschneite Tal zweihundert Kilometer weiter im Norden kommen?
    Wie wurde Mord auf Dannacker bestraft? Wie lauteten die lokalen Regeln?
    Winford starrte auf seine roten Hände, die Flecken an den Kontrollen und am Sitz hinterlassen hatten. Er wischte sie an der Hose ab.
    »Schneller«, sagte er. »Ich habe es eilig.«
    Das Summen des Triebwerks wurde etwas lauter, und unten glitt die Landschaft dahin, braun und grün die tiefer gelegenen Gebiete, weiß die Hänge und Gipfel von Hügeln und Bergen.
    Eine neue Identität, dachte Winford. Er musste untertauchen, seine Spuren verwischen, eine neue Identität annehmen …
    Ayanne, fuhr es ihm durch den Sinn. Er musste Ayanne holen.
    Die Zeit verging nicht langsam, sondern schnell. Die einzelnen Sekunden rasten wie seine Gedanken, und jede von ihnen gab bestimmten Informationen Gelegenheit, sich in den lokalen Datennetzen weiter auszubreiten. Winford Gattwick hat den Korrektor Mandap Justian umgebracht. Er stellte sich vor, wie diese Worte erst nur ein Flüstern waren, in den Datenkanälen aber immer mehr zu einem Schrei anschwollen, den niemand überhören konnte.
    Der Atmosphärenspringer setzte zur Landung an, und Winford stieß die Tür auf, noch bevor die Maschine ganz zur Ruhe gekommen war. Er sprang hinaus in den aufgewirbelten Schnee, wie in der Nacht zuvor, lief zum Haus und stellte fest, dass die Tür offen war. Er selbst hatte sie offen gelassen, erinnerte er sich.
    »Ayanne?«, rief er in der Diele.
    Das Wohnzimmer war leer, die Küche ebenfalls. Winford sah oben nach und fand die beiden Kinder tot in ihren Betten, wie er sie zurückgelassen hatte, die Decken bis zum Kinn hochgezogen. Die Zeit schien hier stillzustehen, wie in der Kälte erstarrt, die unten durch die offene Tür hereingekommen und durchs ganze Haus gekrochen war. Er kehrte in den Flur zurück, lief die Treppe hinunter …
    Die Spuren im Schnee.
    Er stürmte hinaus, und dort waren sie: Abdrücke im Schnee, die über den Hang führten und zwischen

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