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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ist?« fragte Kate.
    »Ja. Irgendwie.« Lucian hielt an und setzte rückwärts in eine Gasse, die fast von tiefhängenden Bäumen, an denen noch tropfnasses Laub hing, und Hecken, die seit Jahren nicht mehr geschnitten worden waren, verdeckt wurde. Zweige kratzten an den Seiten des Dacia, bis man nur noch durch die Windschutzscheibe Ausblick auf Tor und Zufahrt zu Radu Fortunas Villa hatte. »Die Poliţie und Securitate patrouillieren hier aber noch. Es wäre bestimmt nicht gut, wenn wir von denen angehalten würden, da ich mit Sicherheit noch auf ihrer Fahndungsliste stehe und Sie überhaupt keine Papiere haben.« Er setzte den Dacia noch weiter zurück, bis sie durch ein Wirrwarr von Ästen auf die Straße sahen.
    Nach einer Weile hörte es auf zu regnen, aber die Tropfen, die von den Zweigen auf das Dach und die Haube des Autos fielen, waren fast ebenso laut. Im Innern des Dacia wurde es kalt. Die Scheiben beschlugen, und Lucian mußte die Windschutzscheibe mit einem Taschentuch frei wischen. Irgendwann nach Mitternacht fuhr ein Polizeiauto langsam die Straße entlang. Es hielt nicht an, und kein Suchscheinwerfer wurde in ihre Richtung gedreht.
    Als das Polizeiauto vorbei war, griff Lucian unter den Sitz und holte eine große Thermosflasche voll Tee hervor. »Tut mir leid, aber ich habe nur eine Tasse«, sagte er und gab Kate den Deckel. »Wir beide müssen uns die Flasche teilen, Pater O'Rourke.«
    Kate beugte sich über die heiße Tasse und versuchte zu zittern aufzuhören. Seit Pater O'Rourkes Enthüllungen über Lucian vor ein paar Stunden schien sich das Zentrum des Geschehens verlagert zu haben. Sie wußte nicht mehr, wem oder was sie glauben sollte. Lucian schien anzudeuten, daß O'Rourke ebenfalls Mitglied einer Verschwörung war, bei der es um die Strigoi ging.
    Sie brachte nicht genügend Energie auf, einen der beiden auszufragen. Joshua! dachte sie. Wenn sie die Augen fest zukniff, konnte sie sein Gesicht sehen, seinen angenehmen Babyduft riechen, die seidigen Berührungen seines weichen Haars an ihrer Wange spüren.
    Sie schlug die Augen auf. »Lucian, erzähl uns einen Witz von ›Unserem Großen Führer‹.«
    Der Medizinstudent gab O'Rourke die Thermosflasche. »Haben Sie schon davon gehört, wie Brigitte Bardot einmal unser Arbeiterparadies besucht hat?«
    Kate schüttelte den Kopf. Es war bitter kalt. Sie konnte Flutlicht auf dem Grundstück gegenüber sehen, das auf Stacheldrahtrollen auf den Mauern funkelte. Es hatte wieder angefangen zu regnen.
    »Unser Großer Führer hatte eine Privataudienz mit der Bardot und war auf den ersten Blick hingerissen«, sagte Lucian. »Sie haben sicher Fotos der verstorbenen Mrs. Ceauşescu gesehen. Dann werden Sie den Grund verstehen. Wie dem auch sei, er fängt an zu stammeln, weil er die französische Schauspielerin beeindrucken will. ›Ich bin hier der Boß‹, sagt er. ›Mademoiselles Wünsche sollen mir Befehle sein.‹ ›Na gut‹, sagt die Bardot, ›dann machen Sie die Grenzen auf.‹ Einen Augenblick ist Ceauşescu ... wie sagt man? ... fassungslos. Aber dann fängt er sich wieder und grinst sie mit seinem Monsterlächeln an.
    ›Ahhh‹, sagt er mit einem verschwörerischen Flüstern, ›ich weiß, was Sie von mir wollen.‹ Er blinzelt ihr zu. ›Sie wollen mit mir allein sein.‹«
    Lucian nahm die Thermosflasche von O'Rourke zurück und trank Tee.
    Der Priester räusperte sich auf dem Rücksitz.
    Kate fragte sich, ob ihm sein Bein in kalten, nassen Nächten wie dieser starke Schmerzen bereiten mochte. Sie hatte nie gehört, daß O'Rourke sich beschwert hätte, nicht einmal wenn das Hinken sehr deutlich war.
    »Ich war vor Jahren in der Tschechoslowakei, als das Unglück von Tschernobyl geschah«, sagte O'Rourke. »Wurden darüber auch Witze gemacht?«
    Lucian zuckte die Achseln. »Logisch. Wir machen über alles Witze, das uns eine Scheißangst macht oder uns zum Weinen bringt. Sie nicht?«
    Kate nickte. »Wie die Definition von NASA nach dem Challenger-Absturz, ebenfalls 1986«, sagte sie. »Ähem ... N eed A nother S even A stronauts - Brauchen sieben neue Astronauten.«
    Niemand lachte. Sie unterhielten sich nicht, um einander zu erheitern.
    »In der Tschechoslowakei«, sagte O'Rourke, »ging der Witz, daß die neue Nationalhymne für die UdSSR nach Tschernobyl folgendermaßen gehen sollte: Pec nám spadla, pec nám spadla ... ›Unser Ofen ist eingestürzt, unser Ofen ist eingestürzt‹.« Nach einem Augenblick des Schweigens sagte der

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