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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sie zwei oder drei Meilen an Eisenbahnschienen entlangfuhren, wobei die Straße zunehmend schlechter wurde, je weiter sie sich von dem Dorf entfernten, bis Lucian schließlich, als der Weg gerade die Schienen kreuzte, nach links auf eine noch schlechtere Straße abbog. Schotter und Pfützen erzeugten Geräusche unter den Reifen. Er schaltete das Standlicht ein, während der Dacia unter einem tropfenden Dach kahler Zweige dahinkroch.
    »Eine Art Staatswald«, sagte er stirnrunzelnd und konzentrierte sich darauf, Schlaglöchern auszuweichen, die so groß wie kleine Seen waren. Schließlich fluchte er und schaltete die Scheinwerfer ein.
    Sie fuhren unter einem durchhängenden Holzbogen mit verwitterten Buchstaben durch und gelangten auf einen Weg, der kaum mehr als ein Trampelpfad durch den Wald war. Als Kate gerade fragen wollte, ob Lucian überhaupt noch wußte, wo sie sich befanden, wurde der Pfad wieder zu einer breiteren Asphaltstraße, auf der sie an einem dunklen und stillen Stuckgebäude links vorbeifuhren.
    »Restaurant und Gästehaus«, sagt Lucian, der nicht einmal hinsah. »Es ist seit dem Tod Ceauşescus geschlossen.« Mehrere schmale Wege zweigten rechts und links ab, aber Lucian blieb mit dem Dacia auf dem breitesten. Jetzt konnte Kate umgestürzte Picknicktische und unkrautüberwucherte Rasenflächen sehen. Das Gebiet sah wie ein staatlicher amerikanischer Park aus, der seit Jahrzehnten verwahrloste.
    Plötzlich bremste Lucian, hielt an, setzte mit dem Dacia zurück und bog links auf einen asphaltierten Weg, nicht breiter als ein Fußweg, ab. Der Weg hörte hundert Meter bergab auf, dort knirschte Schotter unter den Reifen. Kate konnte schwach das Glitzern von Wasser zwischen den Bäumen vor ihnen ausmachen.
    Lucian parkte den Wagen. »Wir müssen uns beeilen.« Er griff ins Handschuhfach und holte eine Taschenlampe und etwas Schwereres heraus. Kate blinzelte, als sie feststellte, daß es sich bei dem zweiten Gegenstand um eine Pistole irgendeiner Machart handelte - eine Halbautomatik, wie es aussah. Lucian steckte die Pistole in die Jacke und probierte die Taschenlampe aus. Der Lichtstrahl war hell genug. »Gehen wir«, sagte er.
    Sie gingen noch einmal hundert Schritte durch nasses Gras bergab, und plötzlich lag ein niedriger Drahtzaun vor ihnen. Links befand sich ein Tor, aber es war verschlossen. Lucian kletterte über das Tor, und Kate folgte ihm. O'Rourke hatte eindeutig Probleme mit seiner Beinprothese, aber er gab keinen Laut von sich, als er sich allein mit der Kraft seines Oberkörpers hoch- und darüberzog.
    Die drei kauerten, so schien es, auf einer kleinen, grasbewachsenen Halbinsel mit einem Bootssteg, einem Schuppen und mehreren Erhebungen, in denen Kate umgedrehte Ruderboote erkannte. Es hatte aufgehört zu regnen, aber im Wald hinter ihnen tropfte es. Kuckucke und Ochsenfrösche lärmten in dem Sumpfgebiet links von ihnen.
    Lucian beugte sich zu ihnen und flüsterte: »Ich glaube nicht, daß sie noch eine Wache im Schuppen haben, aber seien wir trotzdem so leise wie möglich.« Er gab O'Rourke ein Zeichen, worauf die beiden Männer das erste Ruderboot hochhoben, herumdrehten und zu einer Schotterfläche beim Steg trugen. Lucian bat erneut mit einer Geste um Ruhe, verschwand im Schatten bei dem Schuppen und kam mit zwei schweren Rudern zurück.
    Kate stieg als erste ins Boot und setzte sich in den Bug, während Lucian die Ruder einhängte und O'Rourke sie abstieß und sich dann selbst ins Heck schwang. Sie trieben am Steg vorbei, dann ruderte Lucian fast lautlos, bis sie weit vom Steg und dem dunklen Schuppen entfernt waren.
    Kates Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie stellte fest, daß sie sich in einer breiten Lagune befanden. Ein großes, dunkles Gebäude - offensichtlich das Restaurant/Gästehaus, an dem sie vorbeigekommen waren - beherrschte ein Ende der Lagune wenige hundert Meter links von ihnen; dort konnte Kate unkrautüberwucherte Stufen sehen, die zum Wasser herabführten. Vor ihnen drangen weitere Sumpfgeräusche von einer dunklen Baumreihe herüber. Kate stellte fest, wie laut die Kakophonie inzwischen war; die Rufe der Ochsenfrösche und Kuckucke von drei Seiten übertönten auch Lucians Ruderschläge.
    Lucian steuerte das Boot auf eine Stelle zwischen zwei von Bäumen gesäumte Punkte, auf den eigentlichen See hinaus, wie Kate bewußt wurde. Dieser wirkte in der Dunkelheit ausgesprochen breit, das gegenüberliegende Ufer - so es denn das

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