Kinder der Nacht
nicht richtig schlafend, weder tot noch unter den Lebenden weilend, träume ich meine Erinnerungen.
Meine Feinde fielen über mich her.
Mit Unterstützung meines verräterischen Bruders Radu überquerte Sultan Mehmed II. mit seinen Legionen von Arabern, Janitscharen, rumelischen Sepoy und schlitzäugigen Anatoliern die Donau, um mich vom Thron zu stürzen. Mehmeds Armee war bei weitem stärker als meine eigene. Ich verwechselte Ehre nicht mit Dummheit. Auf meinen Befehl hin zogen sich unsere Streitkräfte nach Norden zurück und hinterließen Verwüstung in unserem Kielwasser.
Die Städte und Dörfer meines Königreichs wurden den Flammen übergeben. Die Kornkammern wurden geleert und zerstört. Vieh, das nicht mit der Armee nach Norden getrieben werden konnte, wurde vor Ort geschlachtet. Auf meinen Befehl hin wurden Brunnen vergiftet und Dämme aufgeworfen, um Sümpfe zu erzeugen, wo Mehmed mit seinen Kanonen passieren mußte.
Das sind die historischen Fakten des Rückzugs - moderne Strategen würden von einem ›strategischen Rückzug‹ sprechen -, aber sie vermitteln keinesfalls, wie es wirklich war. Ich liege hier, während der Abend die dunklen Holzbalken über mir mit stumpfem Blutrot färbt, und erinnere mich an die Straßen, die von weinenden Flüchtlingen aus unseren eigenen Städten und Dörfern, Ochsenkarren und Ackergäulen sowie ganzen Clans zu Fuß verstopft waren, die ihre erbärmlichen Habseligkeiten trugen, während hinter uns Flammen den Horizont erhellten und der Himmel schwarz vom Rauch unserer Selbstzerstörung wurde. Ich lag den vergangenen Winter hier und konnte lauschen, wie die Dienerschaft der Familie sich auf Treppen und Absätzen unterhielt - mein Gehör funktioniert immer noch ganz ausgezeichnet, wenn ich es möchte -, und sie flüstern miteinander von Saddam Husseins Krieg gegen die Amerikaner und von den Ölfeldern, die er in seinem Zorn anzünden ließ und deren Rauchwolken den Himmel verdunkelten. Sie tuscheln von den Kämpfen in Jugoslawien im Westen und schütteln die verhüllten Köpfe darüber, wie schrecklich der moderne Krieg sei. Saddam Hussein ist ein Waisenknabe verglichen mit Hitler, und Hitler war ein Waisenknabe verglichen mit mir. Ich folgte Hitlers Armee einmal beim Rückzug in seine Heimat und war erstaunt, wieviel Material und Infrastruktur er unzerstört ließ. Saddam hat in der Wüste Feuer gelegt; ich zu meiner Zeit habe einige der fruchtbarsten Landstriche in ganz Europa in Wüste verwandelt.
Dieses Zeitalter weiß nichts mehr vom Krieg.
Wir zogen uns ins Zentrum des Zentrums meines Reichs zurück, weil alle Transsilvanier damals schon an der Mutterbrust lernten, daß die Rettung unseres Volkes und unserer Nation stets in den tiefsten Klüften und auf den höchsten Bergen, in den dunkelsten Wäldern und entlegensten Regionen liegt, wo Wölfe heulen und der Schwarzbär zu Hause ist.
Ich habe Stoker gelesen. Ich habe seinen albernen Roman gelesen, als er 1897 veröffentlicht wurde, und habe die erste Bühnenproduktion in London gesehen. Dreiunddreißig Jahre später sah ich diesen linkischen Ungar, der durch einen der dümmlichsten Filme schlich, die ich in meinem ganzen Leben je mit ansehen mußte. Ja, ich habe Stokers erbärmliches, schlecht geschriebenes Melodram gelesen, dieses Kompendium der Verwirrungen, das den edlen Namen Dracula in den Schmutz zog und trivialisierte. Es ist selbstverständlich Schund und Unsinn, aber ich muß gestehen, es findet sich ein kurzer, mit ziemlicher Sicherheit versehentlicher Absatz reiner Poesie in diesem kindischen Geschreibsel.
Stokers idiotischer Vampir mit seinem Opernmantel hält inne, als er im Wald einen Wolf heulen hört. »Hört sie euch an«, sagt er in einem Bühnenflüstern. »Die Kinder der Nacht. Was für eine wunderbare Musik sie machen.«
In diesem versehentlich poetischen Absatz wird etwas von der transsilvanischen und rumänischen Seele enthüllt. Das Heulen des Wolfs - einsam, furchteinflößend, an abgelegenen Orten hallend - ist die Musik der rumänischen Seele. In der Dunkelheit der Wälder finden wir unsere Erlösung und Wiedergeburt. Im unzugänglichen Gebirge stellen wir uns mit dem Rücken zum Felsgestein und blicken unseren Feinden ins Auge. So ist es immer gewesen. So wird es immer sein. Ich habe eine Rasse von Kindern der Nacht gezeugt und angeführt.
Damals, im Sommer 1462, flohen Tausende von Soldaten und Abertausende meiner Bojaren und Bauern vor den Söldnerscharen des Sultans nach
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