Kinder der Nacht
reißen hörte, und auch als sie glaubte, sie könne nicht weiterdrücken, drückte sie weiter. Sie spürte, wie ihr Rost in Augen und Mund fiel, spürte die rauhen Steine des Tunnelbodens, die ihr durch Mantel und Bluse in den Rücken schnitten, spürte ihren Hals, der sich drehte, als würde ihr ein glühend heißer Draht durch die Nervenbahnen gezogen ... und drückte immer noch weiter. Mike O'Rourke neben ihr strengte sich noch mehr an.
Das Gitter brach nicht, es schoß aus dem umliegenden Gestein und dem billigen Beton wie ein Kork aus einer Champagnerflasche. Kate kletterte als erste hinauf und hinaus, blieb volle fünfzehn Sekunden auf dem kalten Steinboden liegen und atmete die frische Luft, bevor sie den Arm ausstreckte und O'Rourke hinaushalf. Er mußte die Jacke ausziehen und zerriß sich das Hemd, konnte sich aber durch das unregelmäßige Loch in die Schwärze zwängen.
Sie umarmten sich auf dem Boden der Gruft der Kapelle, und ihr Hochgefühl wurde langsam zur Angst, während sie darauf warteten, daß schwarzgekleidete Wachen hereinstürmen und nach der Ursache des schrecklichen Lärms sehen würden, den ihr Eindringen gemacht haben mußte. Sie konnten zwar die fernen Laute der Zeremonie der Weihe hören, aber keine Schritte und keine Alarmsirenen wurden laut.
Nach einem Augenblick standen sie auf, hielten einander, um sich zu stützen, und gingen die Treppe hinauf, durch eine aufgebrochene Tür in die eigentliche Kapelle.
Fackellicht bewirkte, daß Farben durch einige Buntglasfenster hereinbluteten. Kate sah O'Rourke an, nahm sein verschwitztes und gerötetes Gesicht, seine zerrissene und schmutzige Kleidung wahr und mußte lächeln. Sie sah wahrscheinlich noch schlimmer aus. Die Kapelle war klein und fast kreisförmig, und so leer, wie nur archäologische Ausgrabungsstätten leer sein können, aber durch eine Tür mit einer einzigen klaren Scheibe hatte man Ausblick auf den keine fünfzig Meter entfernten Chindia-Turm. Auf den Rasenflächen und Palastruinen zwischen ihnen und dem Turm drängten sich Fackeln, menschliche Gestalten, dieselben schwarzgekleideten Wachen, die sie schon auf der Insel Şnagov gesehen hatten, und sogar ein geparkter Helikopter und zwei überlange Mercedes-Limousinen.
Kate sah das alles nicht. Sie hatte nur Augen für die Gruppe rotgekleideter Gestalten, die langsam an der Kapelle vorbei zum Fundament des Turms schritten. Einer trug ein Bündel, das man irrtümlich für ein in rote Seide gewickeltes Päckchen hätte halten können. Aber Kate irrte sich nicht; sie hatte flüchtig rosa Wangen und dunkle Augen im Licht der Fackeln gesehen, als die Männer das Bündel an der Kapelle vorbeitrugen, vorbei an singenden Gruppen anderer vermummter Gestalten.
O'Rourke hielt sie zurück und hinderte sie daran, die Tür aufzureißen und im Fackelschein zwischen die Menge zu rennen.
»Es ist mein Baby«, flüsterte Kate, die schließlich gegen den Priester sank, aber nie die Tür des Turms aus den Augen ließ, wo die Männer mit dem Bündel verschwunden waren. »Es ist Joshua.«
Träume von Blut und Eisen
Ich glaube allmählich, daß ich nicht sterben kann. Es ist fast zwei Jahre her, seit ich zum letzten Mal an dem Sakrament teilgenommen habe, aber immer noch mag der Tod sich nicht einstellen. Ich könnte die Aufnahme von Nahrung oder Wasser verweigern, aber dieses Vorgehen wäre reine Narretei; mein Blut würde sich über einen Zeitraum von Monaten hinweg selbst verzehren, statt willig zu sterben. Und nicht einmal ich, der in einem einzigen Leben mehr Schmerz erfahren hat als die meisten Generationen von Familien zusammengenommen, nicht einmal ich könnte diese Folter ertragen.
So liege ich bei Tage hier und lausche den Stimmen meiner Familie, so wie ich in meiner frühesten Kindheit hier gelegen habe. Nachts stehe ich auf und gehe in meinem Zimmer auf und ab, folge den Fluren dieses alten Hauses und sehe aus den Fenstern, zu denen ich schon als Baby hinausgesehen habe. Meine Muskeln sind nicht völlig verkümmert ... werden sie nie sein.
Ich komme langsam zur Überzeugung, Gottes größte Strafe für mich ist, daß er mir verweigert zu sterben. Vor Jahrhunderten, als ich jung war, erwachte ich in den frühen Morgenstunden mit kaltem Schweiß beim Gedanken an ewige Verdammnis. Jetzt ist die Vorstellung von ewiger Strafe gleichbedeutend mit der simplen Tatsache, zum ewigen Leben verdammt zu sein.
Aber am Tage döse ich. Und wenn ich hier liege, nicht richtig wach und
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