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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»Bleiben Sie hier stehen«, sagte er leise und schob sie von dem Auto weg.
    Er machte die Fahrertür auf, strich Glasscherben von den glatten Lederbezügen, ließ den Motor an und fuhr den Mercedes unter das eingestürzte Dach der Scheune. Als er zurückkam, zog er die Axt aus dem weichen Erdboden, in dem er sie steckengelassen hatte, hob sie auf und ging auf Kate zu. »Ich mußte mein Auto ein Stück entfernt stehenlassen und zu Fuß über die Wiese gehen. Ich habe dafür gesorgt, daß immer Bäume zwischen mir und dem Auto waren. Kommen Sie.«
    Er wollte ihre Hand nehmen, aber Kate wich zurück. Lucian nickte und ging die Straße entlang. Kate wartete eine Minute, dann folgte sie ihm.
     
    Der weiße Dacia sah wie der blaue Dacia aus, den Lucian in Bukarest gefahren hatte. Er quietschte, schepperte und qualmte genau so, und er hatte keinen zweiten Gang. Kate machte es sich auf dem rissigen Vinylsitz bequem und ließ sich von Lucian nach Westen und Süden fahren.
    »Ich war versucht, den Mercedes zu nehmen«, sagte er. »Alle hätten ihn als Auto der Strigoi erkannt und uns in Ruhe gelassen. Aber aus der Luft wäre er zu auffällig gewesen - und alle hätten sich erinnert, in welche Richtung wir gefahren sind.«
    »Du bist mir gefolgt«, sagte Kate. Es war nicht unbedingt eine Frage.
    Lucian nickte. »Sie haben mich nach Bukarest gefahren, ich holte mein Auto, die Pistole meines Vaters, die Axt, ein Fernglas und fuhr gleich wieder zurück. Ich habe gesehen, wie sie den Priester nach Osten gefahren haben. Sie müssen über Braşov und Piteşti zum Schloß fahren.«
    »Zum Schloß?« Die Worte klangen seltsam in Kates Mund. Ihr Verstand spielte immer wieder die Augenblicke der Vergewaltigung durch, das Gefühl der Hilflosigkeit, als er sie niederdrückte, den Eindruck, als wäre sie zu jemand und etwas anderem geworden als sie selbst.
    »Vlads Schloß am Argeş«, sagte Lucian. »Dort findet heute nacht die Zeremonie statt. Sie haben den Priester auf dem westlichen Weg dorthin gebracht; Sie wollte man über Sibiu und Calimenaşti befördern. Das ist eine Gewohnheit, falls sie verfolgt werden. Ich bin nur Ihrem Auto gefolgt.« Er sah sie an.
    Kate schaute ihm zum ersten Mal direkt in die Augen. »Du hast uns verraten.«
    Lucian sah wieder auf die Straße, wo ein Zigeunerwagen vor ihnen fuhr. Er hupte, überholte den Wagen, scheuchte einige Schafe von der Straße und sah sie wieder an. »Nein, Kate. Ich habe niemals ...«
    Sie ballte die Fäuste. »Du hast für sie gearbeitet. Soweit ich weiß, könntest du noch für sie arbeiten.«
    Lucian holte tief Luft. »Kate, Sie haben gesehen, wie ich die drei getötet habe ...«
    »Du hast selbst gesagt, daß die Strigoi untereinander kämpfen!« Sie hatte ihn nicht anschreien wollen. »Fraktionen! Du könntest gleichzeitig für und gegen sie sein. Du hast uns verraten. Uns belogen. Uns ausgeliefert.«
    Lucian nickte. »Das mußte ich ... um euch beiden das Leben zu retten. Die Strigoi wußten, daß ihr kommen würdet. So lange ich euch im Auge behielt, waren sie beruhigt ...«
    »Du bist einer von ihnen«, flüsterte Kate.
    »Sie wissen, daß ich das nicht bin!« schnappte Lucian. »Darum habe ich den Bluttest durchgeführt.«
    »Bluttests kann man fälschen.«
    Lucian steuerte den Dacia an den Straßenrand und drehte sich zu ihr um. »Kate, ich kämpfe, seit ich ein Kind war, gegen die Strigoi. Meine Adoptiveltern sind im Kampf gegen sie gestorben.«
    »Adoptiveltern?« Kate erinnerte sich an den alten Dichter mit dem eleganten Benehmen und seine graziöse Frau; sie erinnerte sich an zwei ausgeblutete Leichen auf der Bahre in der Medizinischen Fakultät.
    Lucian nickte. »Ich war eine Waise. Ich wurde von ihnen adoptiert, als ich vier war. Meine Eltern wurden wegen den medizinischen Experimenten getötet, die sie an den Strigoi durchführten - sie versuchten, den Retrovirus zu isolieren.«
    Kate schüttelte den Kopf. »Dein Vater war Dichter, kein Arzt. Ich habe ihn kennengelernt, weißt du nicht mehr?«
    Lucian verzog keine Miene. »Mein Adoptivvater war Dichter. Meine Adoptivmutter war von neunzehnhundertfünfundsechzig bis neunzehnhundertsiebenundachtzig Direktorin des Staatlichen Virologischen Instituts. Ihretwegen habe ich das Medizinstudium angefangen. Um mehr über die Strigoi zu lernen. Um zu erfahren, wie man sie vernichten, den Retrovirus aber trotzdem isolieren kann, damit man ihn benützen könnte, um ...«
    »Das Ding im Tank«, flüsterte Kate.
    Lucian nickte.

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