Kinder der Nacht
leuchtete der Suchscheinwerfer ins Wasser. »Nein, komm mit, wir müssen über den Fluß in das Wäldchen dort«, zischte sie ihm ins Ohr. »Komm schon, Lucian.« Sie hob ihn in eine sitzende Haltung und zog dann die feuchte Hand weg.
»Nur ... einen Moment ausruhen«, murmelte er. »Am o durere aiti, Kate. Äh ... ich meine, ich habe genau hier Schmerzen. Mă doare pieptul.« Er griff sich an die Brust.
Kate zog ihn nach vorne und riß die Fetzen seines Hemdes weg. Soweit sie in der Dunkelheit erkennen konnte, hatte er vier große Einschußlöcher oben am Rücken, zwei nahe oder über der Wirbelsäule, und noch eine Verletzung unten rechts. Sie tastete die Brust ab, fand aber nur ein Austrittsloch. Dieses war groß und blutete stark.
»Oh, Lucian«, flüsterte sie und benützte die Fetzen des Hemdes als Druckverband. »Oh, Lucian ...«
»Müde«, flüsterte Lucian. »Mă simt obosit.«
»Ruh dich aus«, flüsterte sie, hielt ihn im Arm und strich ihm mit der freien Hand über die Stirn. Sie spürte, wie sein Kopf gegen sie sank. Der Panzerwagen war jetzt fast über ihnen. Sie konnte den Dieselgestank seiner Abgase riechen.
»Babe«, flüsterte Lucian mit drängender Stimme, »ich habe vergessen, Ihnen etwas zu sagen.«
»Schon gut«, gurrte Kate und hielt den provisorischen Verband fest. Das Bündel war blutgetränkt und sie konnte es immer noch sprudeln hören. In der Notaufnahme hatten sie das immer eine laufende Brustverletzung genannt. Nur intensivste und sofortige Versorgung konnte jemanden mit einer laufenden Brustverletzung retten. »Schon gut«, flüsterte sie und wiegte ihn.
»Gut«, sagte Lucian mit erleichterter Stimme und starb.
Sie spürte ihn entschwinden. Sie spürte, wie Energie und Bewußtsein und Lebenskraft aus ihm strömten wie Luft aus einem zerrissenen Ballon. Wäre sie religiös gewesen, hätte sie gesagt, daß sie spürte, wie die Seele den Körper verließ.
Kate kannte Erste Hilfe. Sie kannte Mund-zu-Mund-Beatmung. Sie kannte ein Dutzend High-Tech-Wiederbelebungstechniken und ein Dutzend grundlegende. Sie wußte, daß keine davon Lucian jetzt noch helfen konnte. Sie legte ihm die Finger auf die Lider, schloß sie, küßte sie und ließ ihn sanft auf das Moos am Ufer gleiten.
Der Panzerwagen tuckerte auf der Straße hin und her wie ein übelriechender Drache. Ein zweites Fahrzeug hatte sich dazugesellt, es wurde hin und her gerufen. Die Suchscheinwerfer glitten dreißig Meter tiefer über den Fluß, dann zwanzig Meter oberhalb der Stelle, wo sie kauerte. Kate stellte fest, daß das Wrack des Dacia unter einem leichten Felsvorsprung lag und daß sie eine fünfzig bis sechzig Meter lange Spur von zerfetztem Gummi und Metalltrümmern auf der Böschung hinterlassen haben mußten, aber offenbar keinen eindeutigen Hinweis, wo sie von der Straße abgekommen waren.
Trotzdem würden sie nicht lange brauchen. Der Scheinwerfer wurde immer hektischer hin und her bewegt, noch mehr Stimmen brüllten oben auf der Straße.
Kate berührte Lucians erkaltete Hand ein letztes Mal, dann schritt sie am Ufer entlang, hielt sich unter den Bäumen, erstarrte, wenn Schritte stapften oder Scheinwerfer zwischen den kahlen Zweigen hindurchschienen. Zweihundert Meter stromaufwärts blieb sie keuchend stehen und watete dann ins Wasser. An dieser Stelle war der Fluß nur einen Meter zwanzig bis einen Meter fünfzig tief, aber er floß sehr schnell und war bitter, bitter kalt. Kate keuchte, watete aber weiter, wobei ihre Schuhe auf glatten Steinen am Grund abrutschten.
Stromabwärts wurden Rufe laut, dann konzentrierten sich die Scheinwerfer auf das Wrack des Dacia. Wenn Kate jetzt ausrutschte, würde die Strömung sie innerhalb von Sekunden bergab ins Licht befördern. Sie rutschte nicht aus. Als sie das andere Ufer erreicht hatte, waren ihre Beine taub, und ihre Zähne klapperten unkontrolliert. Sie achtete nicht darauf und zog sich ins seichte Wasser.
Jetzt leuchteten noch mehr Scheinwerfer über den Fluß. Ein Lichtstrahl glitt über sie hinweg, als sie sich gerade aus dem Wasser zog. Er kehrte unverzüglich zurück, als wollte er nach ihr tasten, aber da kroch sie schon durch hohes Schilfgras und Schlamm auf die Bäume zu. Auf dieser Seite des Flusses lag endloser Wald, der sich eine halbe Meile oder mehr zwischen dem Fluß und den schwarzen Bergen erstreckte. Alles dunkel. Keine Straßen. Kein Licht.
Schüsse peitschten über das Wasser. Sie schossen auf sie. Kate achtete nicht darauf, stand auf und
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