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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Sie?«
    »Nein«, sagte Kate.
    »Sollen wir es versuchen?« Lucian grinste jetzt aufrichtig.
    »Versuchen wir es«, sagte Kate. Ihr Herz schlug so heftig, daß sie Schmerzen in der Brust hatte. Das weiße Licht füllte die ganze Welt aus.
    »Okay, Babe.« Er verlagerte die rechte Hand, berührte die ihre, rammte den Gang hinein und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
    Der Dacia machte einen Sprung, wäre um ein Haar abgewürgt worden, und setzte sich dann aufheulend in Bewegung. Das Megaphon plärrte wieder. Lucian lächelte wieder und winkte. Vielleicht erkennen sie ihn, dachte Kate noch. Dann setzten die Schüsse ein.
    Lucian riß das Auto nach rechts herum, als wollten sie versuchen, hinter den Panzerwagen zu kommen, sie entkamen dem Scheinwerfer einen Moment, Kate sah die schmale Lücke zwischen Mercedes und Panzerwagen in dem Augenblick, als Lucian in den dritten Gang schaltete und darauf zu raste, und dann explodierte die Windschutzscheibe in tausend Scherben, Kate schirmte die Augen ab, Kugeln heulten über die Haube, das Dach und die Kotflügel, ein schrecklicher Aufprall schleuderte sie gegen die Tür, dann lenkte Lucian heftig, um sie auf der Straße zu halten. Er schaltete die Scheinwerfer ein, die die verlassene Straße vor ihnen erkennen ließen, dann war das grelle weiße Licht wieder da, im Rückspiegel und der Heckscheibe. Diese Scheibe barst nach innen, Kates spürte, wie etwas an ihrer linken Ferse zerrte und etwas zwischen ihrem erhobenen Arm und den Rippen hindurchpfiff, und dann hatten sie die Kurve hinter sich gelassen, beschleunigten wieder und schlingerten dabei heftig.
    »Wir haben es geschafft!« schrie Kate, die es nicht glauben konnte, obwohl sie es schrie. Sie wußte, die Aufregung, die sie empfand, lag weitgehend am Adrenalinstoß, aber das war ihr einerlei. Lucian grunzte etwas und mühte sich mit dem Lenkrad ab.
    Da platzte der rechte Vorderreifen mit einem Knall, der lauter als das Gewehrfeuer war, der Dacia schmierte nach rechts weg, Lucian riß ihn wieder nach links, dann lagen sie plötzlich auf der Seite und schlitterten die Straße entlang. Kate schlug die Arme über den Kopf und spürte, wie sie die Knie an der Unterseite des Armaturenbretts anschlug, dann sah sie durch die zertrümmerte Windschutzscheibe, wie abwechselnd Straße und Himmel, Straße und Himmel, vorübersausten.
    Der Dacia drehte sich ein letztes Mal, landete auf den Reifen und rutschte dann seitwärts die zehn Meter hohe Böschung in den Fluß hinab.
    Das alte Auto verschwand nicht völlig im Wasser, sondern blieb verkehrt herum liegen, zwischen einem Baum und einem Felsbrocken eingekeilt, die Haube im Wasser, das linke Vorderrad drehte sich. Der rechte Reifen bestand nur noch aus Gummifetzen über verbogenem Metall. Kate stellte fest, daß sie das alles von außerhalb des Autos sah, richtete sich auf, hielt sich an einem Felsbrocken fest, der so groß wie ihr Kopf war, und betrachtete den auf dem Dach liegenden Dacia, dessen Scheinwerfer unter Wasser waren.
    »Lucian!« Sie lief zur Seite des Autos, fand ihn halb unter dem Fahrersitz eingeklemmt, der sich aus seiner Verankerung gelöst hatte und auf ihn gestürzt war, und zog ihn - unter Mißachtung jeder Erste-Hilfe-Vorschrift, die sie als Unfallärztin gelernt hatte - aus dem Wrack heraus. Von der Straße über ihnen waren noch keine Laute von Verfolgern zu hören.
    »Lucian«, flüsterte sie und schleppte ihn stromabwärts in den Schutz der Bäume. »Wir haben es geschafft. Wir sind an ihnen vorbei.«
    »Ja«, grunzte er.
    Sie legte ihn an die Wurzel des größten Baums, lief zum Autowrack zurück und tastete nach der Pistole. Sie konnte sie nicht finden, dafür aber das Fernglas, das auf dem Rücksitz gelegen hatte. Den Lederriemen schlang sie sich um den Hals, dann watete sie zu Lucian zurück und lauschte angestrengt. Immer noch kein Laut von Fahrzeugen.
    Lucian saß aufrecht und atmete in tiefen Zügen, als müßte er nach Luft schnappen, nachdem ihm der Atem gestockt hatte. Sie kniete sich neben ihn. »Ich glaube, mir fehlt nichts. Mein Gott, was für ein Schlamassel. Ist mit dir alles in Ordnung, Lucian?« Im spärlichen Licht sah sein Gesicht leichenblaß aus.
    Er stützte sich mit einer Hand am Baumstamm ab.
    »Eigentlich nicht«, sagte er. »Ich glaube, ich muß mich einen Moment hinlegen.«
    Sie hörte, wie der Gang des Panzerwagens eingelegt wurde und dieser sich auf der Straße in ihre Richtung in Bewegung setzte. Zweihundert Meter

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