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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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stolperte in den Wald. Das Licht der Sterne reichte gerade aus, daß sie auf die Uhr sehen konnte. Die funktionierte noch. Es war siebenundzwanzig Minuten nach zehn.
    Sie konnte Lichter weit oben an der Schlucht erkennen, aber die Zitadelle war laut Lucian immer noch zwei bis drei Meilen entfernt. Kate hielt sich weit unter dem schützenden Dach der Bäume, wandte sich nach Norden und marschierte los.

Kapitel 38
     
    Kate brauchte eine Stunde, bis sie zu dem Licht gelaufen war, und dann entpuppte sich das Licht nur als ein weiteres Dorf und nicht als die Zitadelle selbst. Sie hielt sich unter den Bäumen, sah über den Fluß zu dem winzigen Ort, wo es von Militärfahrzeugen, Polizei und beleuchteten Straßensperren nur so wimmelte, und dachte: Lucian hat diesen Ort erwähnt ... Căpăţîneni. Die Zitadelle müßte keine Meile entfernt im Norden liegen. Aber der Fluß krümmte sich jenseits des Dorfes unter einer Brücke hindurch, die Autobahn verlief hinter diesem Punkt an der Westseite des Flusses entlang, und die umliegenden Felswände verbargen die Zitadelle vor Blicken. Kate konnte einen orangefarbenen Widerschein auf den tiefhängenden Wolken erkennen, aber dieser schien unmöglich weit entfernt und unmöglich hoch zu sein.
    Sie sah auf die Uhr: 23.34. Sie würde es nie rechtzeitig schaffen, die Meile zurückzulegen und den Berg hinaufzuklettern. Lucian hatte gesagt, daß Stufen an der Bergflanke hinauf bis zu der Zitadelle führten - tausendvierhundert Stufen. Kate versuchte, das in Meter und Höhe umzurechnen. Dreihundert Meter über dem Fluß? Mindestens. Sie lehnte sich erschöpft an einen Baum und konzentrierte sich darauf, nicht zu weinen.
    Links von ihr ertönte ein schlurfendes, schnarchendes Geräusch, und Kate erstarrte, dann duckte sie sich mit geballten Fäusten. Sie hatte keine Waffe, nur das alte Fernglas, das ihr um den Hals hing. Das Geräusch ertönte wieder, und Kate schlüpfte zwischen den Bäumen vorwärts.
    Auf einer Wiese zwischen Fluß und bewaldeten Hügeln stand ein einsamer Zigeunerwagen. Das kleine Lagerfeuer war zu Glut niedergebrannt. Hinter dem Wagen fraß ein weißes Pferd das trockene Gras. Es war ein riesiges Pferd mit Hufen so groß wie Kates Kopf. Es hob den Kopf, gab ein Wiehern von sich, das Ähnlichkeit mit einem Niesen hatte, und graste weiter. Das Geräusch der gewaltigen Zähne, die Gras zermalmten, war in der kalten Nacht deutlich zu hören. Sonst kein Ton.
    Ja, dachte Kate.
    Sie umkreiste die Stelle unter den Bäumen, hielt sich geduckt und setzte die Füße vorsichtig auf. Gelegentlich konnte man Megaphone oder Rufe aus dem Dorf über den Fluß hinweg hören.
    Einmal erstarrte Kate zur Reglosigkeit, als ein schwarzer Helikopter von Süden nach Norden über dem Fluß durch das Tal flog. Dann verschwand die Maschine hinter einer Felswand, und Kate setzte ihren Weg zu dem Pferd fort. Ihr Herz klopfte, als sie den Schutz der Bäume verließ und durch das hohe Gras schlich.
    Das weiße Pferd hob den Kopf und sah ihr neugierig entgegen.
    »Psst«, flüsterte Kate unsinnigerweise, als sie neben dem Pferd stand, das sie zwischen sich und dem Zigeunerwagen hielt. »Psst.« Sie tätschelte ihm den Hals und stellte fest, daß sein Zaumseil mit einem längeren Seil verbunden war, das acht bis zehn Schritte näher beim Wagen begann. »Scheiße«, hauchte sie.
    Der Pflock war tief in den Boden geschlagen. Kate duckte sich, bekam ihn nicht heraus, verlagerte die Position, legte das ganze Gewicht hinein und zog den langen Pflock aus dem Boden. Das Pferd entfernte sich ein Stück und betrachtete ihre Bemühungen mit großen Augen. Kate rollte das Seil zusammen, eilte zu dem Tier, tätschelte ihm den Hals und flüsterte ihm beruhigend zu.
    Eine Hand wurde auf Kates Schulter gelegt, während gleichzeitig ein Messer ihren Hals berührte. Eine brüchige Stimme flüsterte etwas in einer Sprache, die weder Rumänisch noch Englisch war. Kate blinzelte, als die Klinge weggezogen wurde. Sie drehte sich um.
    Die Zigeunerin hätte in Kates Alter sein können, sah aber zwanzig Jahre älter aus. Selbst im trüben Licht konnte Kate die Runzeln, die hängenden Wangen und die Zahnlücken sehen. Sie und die Frau waren gleichermaßen in einen dunklen Rock und einen dunklen Pullover gekleidet. Das Messer, das die Frau in der Hand hielt, war kaum größer als ein Dolch, hatte sich an Kates Hals aber ausgesprochen scharf angefühlt.
    »Du ... amerikanische Frai?« sagte die Zigeunerin. Ihre Stimme kam

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