Kinder der Nacht
mit einem fast unhörbaren Rascheln ihres schwarzen Rocks.
Kate nahm das kurze Seil in eine Hand, krallte sich mit der anderen in der Mähne fest, beugte sich dichter über den Hals des Pferdes, drückte die Fersen in die Flanken des Tiers und flüsterte. »Geh ... bitte, geh.«
Das riesige Tier trottete weiter einen Pfad aufwärts, den Kate nicht einmal erkennen konnte.
Es war eine Minute vor Mitternacht, als Kate auf der hohen Kuppe aus dem Wald herauskam und Schloß Dracula auf seinem Gipfel sehen konnte.
Es war eindrucksvoller und fantastischer, als sie es sich hätte vorstellen können: Zwei der fünf Türme waren vollständig wieder aufgebaut worden, der befestigte Gipfel ließ sich vom Rest des Berges nur mittels einer langen Brücke - wahrscheinlich eine Zugbrücke - über eine tiefe Kluft erreichen, der große Saal und die Zinnen der Brustwehre erstrahlten im Licht von Fackeln; Menschen in Schwarz und Rot tummelten sich auf der hundert Meter langen Felsspitze, auf den Zinnen und auf den Terrassen am gegenüberliegenden Ende der Zitadelle. Fackeln loderten an steilen Treppen auf, die zickzackförmig zwischen den kahlen Bäumen hindurch verliefen - nach Süden in den Wald, dann zu den dreihundert Meter tiefer gelegenen Wiesen. Da unten konnte Kate einen beachtlichen Parkplatz voll schwarzer Limousinen ausmachen, ebenso Wachen der Strigoi, die im Licht von Fackeln patrouillierten. Eine Grasfläche auf einem niedrigeren Gipfel mehrere hundert Meter entfernt an der Treppe unterhalb der Zitadelle war von Bäumen befreit worden; dort konnte Kate den Helikopter von Radu Fortuna sehen, an dessen Landekufen ein einsamer Pilot oder Wachsoldat lehnte. Auf dem ganzen oberen Weg in die Zitadelle und am nördlichen Rand der neu aufgebauten Zitadelle entlang konnte man fast zwei Meter große gespitzte Pfähle im Fackelschein erkennen.
Sie rutschte vom Pferd herunter, band es hinter einem Felsblock an einem Ast fest und kroch weiter, um das Schloß mit dem Fernglas zu beobachten.
Einer der Tuben war gesprungen und hatte sich mit Wasser gefüllt, aber der andere vergrößerte die Szene. Von ihrem Beobachtungsposten auf der Spitze über der Zitadelle und etwas nordwestlich davon konnte Kate die Wachen auf der Zugbrücke sehen, die Wachen beim geschäftigen Eingang zur Zitadelle, die Wachen am nördlichen Ende der Zinnen und die Szene auf der am weitesten vom Eingang entfernten Terrasse.
Fackeln spiegelten sich dort flackernd auf Hunderten von Gesichtern und Seidenroben. An der höchsten Stelle der Terrasse war ein Platz geräumt worden, genau an der Stelle, wo Zinnen und die Südwand fast lotrecht dreihundert Meter bis zum Fluß hinabfielen. Dort konnte Kate Vernor Deacon Trent auf einem kleinen Thron am Rand der Zinnen sehen. Der alte Mann trug ein kostbares rotes und schwarzes Gewand und sah wie eine zur Schau gestellte verschrumpelte Mumie aus. Auf diesem freien Platz waren zwei spitze Pflöcke in den Stein eingelassen: einer war unbenutzt, Mike O'Rourke war an den anderen gefesselt.
Kate stand das Herz still, als sie ihn sah. Sie hatten Mike in eine Parodie seiner Priesterkleidung gesteckt - schwarze Kleidungsstücke, hoher weißer Kragen, ein Kruzifix aus Dornen, das verkehrt herum an einem Diadem aus Reben hing -, und er trug eine schwarze Augenbinde. Die Hände waren um den Pfahl gebunden.
Radu Fortuna stand vor der Menge und erstrahlte in einem Gewand aus reiner roter Seide, das weitaus prächtiger als das des alten Mannes war. Kate hatte nur Augen für das in Seide gekleidete Bündel auf Fortunas Armen.
Das Fernglas zitterte, sie mußte es auf einem Ast abstützen. Joshuas Gesicht war deutlich zu erkennen; es sah im Feuerschein blaß und fiebrig aus. Auf einem Tisch zwischen Fortuna und O'Rourke standen vier goldene Pokale auf weißem Leinen. Die Gruppe sang leise. Fortuna sagte etwas.
Kate ließ das Fernglas sinken und sah auf die Uhr. 00:05. Lucian hat gesagt, die Zeitzünder sind auf 00:25 Uhr eingestellt. Sie war keine hundert Meter von ihrem Kind und ihrem Geliebten entfernt, aber es hätte gut und gerne auch ein Lichtjahr sein können. Wachen der Strigoi in Schwarz beobachteten den Zugang, standen auf der Brücke, hüteten den Eingang der Zitadelle und säumten die Menge auf der breiten Terrasse. Die Menge selbst würde sie von der Zeremonie fernhalten. Ihre Uhr sprang auf 00:06.
Kate warf das Fernglas weg, kletterte über den Felsblock und ließ sich in die Spalte hinab, die ihre Kuppe von
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