Kinder der Nacht
Botschaftsangestellte, dem die Erleichterung im Gesicht geschrieben stand. »Ich bin froh, daß ich Sie noch erwischen konnte. Es hat eine Verwechslung gegeben ... ich fürchte, ich habe mich falsch ausgedrückt.« Er hielt ihr einen Stapel Dokumente hin. »Wir haben den Antrag auf ein Visum bis morgen früh bearbeitet. Dieses provisorische Visum müßte die rumänischen Behörden überzeugen, falls es irgendwelche Fragen von deren Seite gibt ...«
Später, als sie zum Krankenhaus zurückgingen, sagte Kate zu O'Rourke: »Was hatten Sie eigentlich in der Botschaft zu tun?«
»Meine Arbeit führt mich manchmal dorthin.«
»Um weitere ungesetzliche Adoptionen zu unterbinden?« Er zuckte die Achseln. Kate dachte, ganz nebenbei, daß der Mann ausgesprochen fit und stattlich aussah - und sehr irisch in seinem schwarzen Anzug mit dem weißen Kragen.
»Manchmal«, sagte der Priester, »fördere ich auch, statt zu unterbinden.«
»In dieser Situation waren Sie eindeutig sehr förderlich. Sie haben möglicherweise Joshuas letzte Chance zu überleben gefördert.« Sie verstummte und betrachtete den dichten Verkehr auf dem Boulevardul Bălcescu. »Können Sie mir den Nachnamen Ihres Freundes Jim verraten?«
Pater O'Rourke kratzte sich das Kinn unter dem kurzen Bart. »Warum nicht? Er lautet Harlen.«
»Senator Harlen? Senator James Harlen? Der Senator, der Vorstand des Komitees für auswärtige Angelegenheiten ist? Den Staatssekretär Baker unbedingt als seine Nummer zwei haben wollte, obwohl er der falschen Partei angehörte? Der Senator, den Dukakis '88 beinahe anstelle von Lloyd Bentsen als Vize nominiert hätte?«
Der Priester lächelte. »Jimmy hatte völlig recht, das wäre kein kluger Schachzug gewesen. Ich wollte, daß er kandidiert, was beweist, wie naiv ich bin. Aber er wird bis '96 warten, bevor er in die nationale Politik geht - und dann nicht als Vizepräsidentschaftskandidat. Er und Cuomo sind die einzigen verbliebenen Demokraten, die noch aus dem Holz sind, aus dem man Präsidenten schnitzt - und ich glaube, Jimmy verfügt über die Energie und hinreichend neue Ideen, es durchzuziehen.«
»Und Sie sind Freunde«, sagte Kate, der bewußt wurde, wie dumm diese Bemerkung war.
»Wir sind Freunde. Schon sehr lange Zeit.« Pater O'Rourke betrachtete das ONT-Tourismusbüro auf der gegenüberliegenden Seite, aber seine Augen sahen etwas anderes.
»Nun, wenn ich an Wunder glauben würde, dann müßte ich sagen, die letzten paar Tage waren voll davon«, sagte Kate. Sie verspürte ein seltsames Gefühl, als sie das sagte. Es stimmt. Wirklich und wahrhaftig. Ich werde ein Baby haben. Kate fühlte sich wie als junges Mädchen; damals hatte sie sich getraut, hatte am Rand des Drei-Meter-Bretts beim Kenmore Municipal Pool gestanden: zu ängstlich zu springen, zu stolz aufzugeben.
»Das einzige Wunder ist, daß ein rumänischer Beamter jemandem ohne großes Bakschisch einen Gefallen getan hat«, sagte O'Rourke. Als er sah, daß sie zitterte, wollte er sie wieder berühren, ließ dann aber den Arm sinken. Kate spürte die Last seines Blickes auf sich. »Neuman, wenn dieser Junge überleben soll, dann müssen Sie die Wunder vollbringen.«
»Ich weiß«, sagte Kate. Dann fragte sie sich, ob sie es tatsächlich laut ausgesprochen hatte, und sagte noch einmal laut und deutlich: »Ich weiß.«
Kapitel 12
Kates und Joshuas Flug in die Vereinigten Staaten war auf Montag, den zwanzigsten Mai festgelegt, und am Abend des neunzehnten, Sonntag, war sie überzeugt, daß man ihr nie und nimmer gestatten würde, das Land zu verlassen.
UNICEF, zusammen mit dem International Relief Fund des CDC Mitsponsor ihres sechswöchigen Aufenthalts zur medizinischen Unterstützung in Rumänien, hatte die Tickets der PanAm schon vor Wochen geschickt, und da der Flughafen Otopeni keine telefonische Bestätigung von Flügen duldete, rief sie fast stündlich das nationale Tourismusbüro an, um ihre Reservierung zu bestätigen. Da sie sich aber damit noch nicht zufriedengab, ließ sie Lucian zweimal am Samstag und dreimal am Sonntag zum Flughafen fahren und sich vergewissern, daß der Flug noch geplant war und sie eine Platzreservierung hatte. Joshua würde sie auf den Schoß nehmen, der brauchte kein eigenes Ticket. Auch das ließ sie Lucian bestätigen.
Mr. Stancu im Ministerium hatte zu seinem Wort gestanden - er war ein kleiner, fröhlicher Mann mit rosigen Wangen, das genaue Gegenteil vom Klischeebild des osteuropäischen Bürokraten,
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