Kinder der Nacht
an zu weinen.
Kapitel 11
Kate ging am nächsten Morgen zur amerikanischen Botschaft, indem sie zu Fuß den Boulevardul Bălcescu bis zum Hotel Intercontinental entlangschritt, dann einen Block auf der Strada Batiştei bis zur Strada Tudor Arghezi. Es war noch nicht neun Uhr, aber es standen schon eine Menge Rumänen auf der Straße Schlange. Sie verspürte zwar Schuldgefühle, wußte aber, sie hatte nicht stunden- oder tagelang Zeit, mit diesen Menschen Schlange zu stehen, daher ging sie zum Anfang der Reihe. Die rumänischen Soldaten betrachteten ihren Paß und winkten sie zum Tor; der Mariner im Inneren nickte und sprach in ein schwarzes Telefon.
Kate sah über die Straße, wo mehrere Protestierende an einer Backsteinwand standen. Auf dem Spruchband an der Wand stand: A.V.C. WIR WARTEN AUF EINREISEVISA 1982-1987. Auf den Transparenten, die sie trugen, stand: HUNGERSTREIK FÜR EINWANDERUNGSVISA und: WO BLEIBT DAS FAIR PLAY? und: STOPPT DIE UNGERECHTIGKEIT und: WASHINGTON SAGT JA, WARUM SAGT RUMÄNIEN NEIN ? WAS SAGT DAS AMERIKANISCHE KONSULAT?
Der Mariner kam zurück, der rumänische Soldat machte ihr das schwarze schmiedeeiserne Tor auf, und Kate betrat den Hof der Botschaft und nickte den stoischen Menschen, die Schlange standen, um Nachsicht bittend zu.
Drinnen mußte sie durch einen Metalldetektor treten, wie sie auf Flughäfen üblich waren, mußte ihre Handtasche zur Durchsuchung abgeben und sich danach einer Untersuchung durch einen gelangweilten Wachmann unterziehen, der einen tragbaren Metalldetektor in der Hand hielt. Sie bekam ihre Handtasche zurück, dann wurde sie mit einem summenden Türöffner ins Erdgeschoß der Botschaft eingelassen.
Der einstmals große Saal war in ein Wartezimmer und mehrere Bürokojen unterteilt worden. Überall standen Menschen Schlange: Rumänen, die Visa wollten, bildeten die längste am Ende des Raumes, vor allen anderen Schaltern standen kürzere Reihen Amerikaner. Acht Stuhlreihen waren im Hauptwartezimmer aufgestellt worden, auf den meisten saßen amerikanische Frauen, die rumänische Babys und Säuglinge auf dem Schoß trugen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Als Kate in der ersten Schlange stand und auf den diensthabenden Offizier wartete, verlor sie fast den Mut angesichts der Hoffnungslosigkeit des Ganzen.
Zweieinhalb Stunden später wurde dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit bestätigt. Kate hatte mit vier Mitgliedern des Botschaftspersonals gesprochen und gedroht zu schreien, wenn man sie nicht mit einem höheren Beamten sprechen ließe. Jemand aus dem Büro des Botschafters war heruntergekommen, hatte einen Klappstuhl aus Metall herangezogen, sich breitbeinig verkehrt herum daraufgesetzt, gelächelt und noch einmal langsam erklärt, was schon der erste Beamte gesagt hatte.
»Wir können schlicht und einfach nicht zulassen, daß diese AIDS-kranken Kinder in die Vereinigten Staaten einreisen dürfen«, sagte der Mann langsam. Seine Zähne waren perfekt, sein Haarschnitt war perfekt, die Bügelfalten seiner grauen Hose waren perfekt. Er hatte sich als Culley oder Cawley oder Crawley vorgestellt. »Die Vereinigten Staaten haben auch so schon ernste Probleme mit AIDS. Das verstehen Sie doch sicher, Mrs. ... äh ... Neuman.«
»Doktor Neuman«, verbesserte Kate ihn zum fünftenmal. »Und dieses Kind hat kein AIDS. Ich bin Spezialistin für Blutkrankheiten. Ich kann es jederzeit bestätigen.«
Der Mann von der Botschaft schürzte die Lippen und nickte langsam, als würde er komplizierte Daten verarbeiten. »Und hat die Trojan-Klinik es bestätigt?«
Kate schnaubte. Die Trojan-Klinik war eine Bruchbude voll inkompetenter Stümper, die in der Lotterie gewonnen hatte, als die amerikanische Botschaft beschloß, sämtliche Tests auf Hepatitis B und AIDS vor Erteilung eines Visums dort durchführen zu lassen. Kate hätte lieber einen Astrologen aufgesucht, als sich auf die Laborergebnisse der Trojan-Klinik zu verlassen. »Ich habe es bestätigt«, sagte sie. »Wir haben die HIV-Untersuchung vor fünf Wochen im Krankenhaus Distrikt Eins vorgenommen. Und wir haben gleichzeitig die Möglichkeit von Hepatitis B ausgeschlossen. Ich habe die Testergebnisse ... bestätigt und handschriftlich abgezeichnet von den Ärzten Ragrevscu und Grigorescu, Chef- und Assistenzpathologen im Krankenhaus Distrikt Eins.«
Der Mann von der Botschaft - Curly? Cally? Crawley? - schürzte die Lippen, nickte wieder und sagte: »Aber wir brauchen selbstverständlich die Bestätigung der
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