Kinder der Nacht
Safarijacke zum fünfhundertstenmal durch: Paß, ihr Visum, Joshuas Visum, die Adoptionsunterlagen - vom Ministerium und der amerikanischen Botschaft gestempelt -, die Impfbescheinigung, die Bescheinigung über Tests wegen ansteckenden Krankheiten, ein Brief mit der Bitte um bevorzugte Behandlung vom Büro von Mr. Stancu und ein gleichlautender Brief von Mr. Crawley in der amerikanischen Botschaft. Alles da. Alles gestempelt, gegengestempelt, unterschrieben, geprüft und bestätigt.
Etwas würde schiefgehen. Sie wußte es. Bei jedem Schritt auf dem Flur oder im Innenhof des Hotels rechnete sie mit einem Beamten, der ihr die Nachricht überbringen würde - Joshua war in derselben Stunde gestorben, als sie ihn zum letztenmal friedlich schlafend in seinem Bettchen in der Klinik gesehen hatte. Oder das Ministerium hatte seine Genehmigung zurückgezogen. Oder ...
Es würde schiefgehen.
Lucian hatte ihr angeboten, sie zum Flughafen zu bringen, und sie hatte angenommen. Pater O'Rourke hatte am Montagmorgen geschäftlich in Tîrgovişte zu tun, fünfzig Meilen nördlich der Hauptstadt, aber er hatte darauf bestanden, um sechs Uhr im Krankenhaus vorbeizuschauen, wenn sie Joshua abholen sollte. Alles war vereinbart, arrangiert und verpackt ... Sie hatte sich von Lucian sogar den Fahrplan des Orient-Expreß nach Budapest geben lassen, falls PanAm oder Tarom Airlines Bukarest auf einmal nicht mehr anfliegen sollten ... aber Kate war überzeugt, daß etwas schiefgehen würde.
Um zweiundzwanzig Uhr zog Kate den Pyjama an, putzte sich die Zähne, stellte den Wecker auf 4 Uhr 45 und legte sich ins Bett, obwohl sie wußte, sie würde kein Auge zutun. Sie sah zur Decke und dachte an Joshua, der auf dem Bauch schlief oder auf dem Rücken lag, die IV-Nadel noch im Arm, die ihm die Kraft für die Prüfung des morgigen Tages geben würde; dann begann für Kate selbst eine lange Zeit schlaflosen Wartens.
Träume von Blut und Eisen
Ich beobachtete durch diese Fenster ... diese kleinen Fenster, die so spärliches Licht auf mich warfen ... ich beobachtete durch dieses Fenster als drei- oder vierjähriges Kind, wie sie Diebe, Wegelagerer, Mörder und Steuerbetrüger aus dem überfüllten Gefängnis am Platz des Ältestenrats über die Straße zu ihrer Hinrichtungsstätte in der Juweliers-Donjon führten. Ich kann mich an ihre Gesichter erinnern, die der Gefangenen, dieser verurteilten Männer: ungewaschen, blutunterlaufene Augen, hagere Gesichter, bärtig und panisch, wie sie verzweifelte Blicke um sich warfen und dabei jedem einzelnen Mann die Gewißheit dämmerte, daß ihm nur noch Minuten blieben, bis der Strick um seinen Hals gelegt wurde und der Henker ihn von der Plattform stieß. Ich kann mich erinnern, einmal waren drei Frauen dabei, die separat im Turm des Ältestenrats untergebracht gewesen waren, und ich beobachtete an einem kalten Herbstmorgen, wie sie in Ketten aus dem Turm und über den Platz geführt wurden, vom Platz auf die Straße, und dann den kopfsteingepflasterten Hang hinunter, außer Reichweite meiner gierigen Blicke. Doch, oh, diese Sekunden ungetrübten Schauens, als ich dort auf der Ottomane im Gemach meines Vaters kniete, das als Empfangs- und als Privatgemach zugleich diente ... oh, diese endlosen Augenblicke der Ekstase!
Die Frauen waren in schmutzige Lumpen gekleidet, wie die Männer auch. Ich konnte durch die fadenscheinigen braunen Fetzen ihre Brüste sehen. Die Frauen waren mit Schmutz vom Turm verkrustet, und mit Blut, weil die Wachen sie grob behandelt hatten. Aber ihre Brüste waren blaß, weiß, schutzlos. Ich konnte Blicke auf ihre schmutzigen Füße und blassen Schenkel erhaschen; ich sah die Dunkelheit zwischen diesen Schenkeln, als die älteste der Frauen breitbeinig stürzte und der Gefängniswärter sie kreischend an der langen Kette auf dem Kopfsteinpflaster entlangzerrte. Aber am deutlichsten erinnere ich mich an ihre Augen ... so entsetzt wie die der männlichen Gefangenen, die ich gesehen hatte, so weit aufgerissen, daß das Weiße um die dunkle Iris herum zu sehen war, gleich den unsteten Augen von Mähren, die weitergetrieben werden, nachdem sie frisches Blut oder die Anwesenheit eines Hengstes gewittert haben.
Da verspürte ich zum erstenmal die Erregung - den Nervenkitzel, als ich miterlebte, wie die sichere Gewißheit des baldigen Todes über diese Männer und Frauen kam - die Erregung und die pulsierende Reinheit der Empfindung. Ich erinnere mich, wie ich, mit schwachen
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