Kinder der Nacht
Spender zu finden. Später wurden wir nach Tokat gebracht, und noch später nach Adrianopel, wo wir in der Gesellschaft des Sultans lebten, aßen, reisten und zu Männern heranwuchsen.
Sultan Murad war ein grausamer Mann, aber ich glaube, nicht so grausam, wie Vater gewesen war. Er behandelte uns mehr wie Söhne, als Vater das je getan hatte. Ich erinnere mich, wie mir der Sultan einmal über die Wange strich, nachdem ich ihm aufgeregt Flug und Jagd eines Falken zeigte, an dessen Ausbildung ich mitgewirkt hatte. Diese überraschend zärtliche Geste blieb mir im Gedächtnis haften.
Am Ende meines sechsten Jahres dort dachte ich häufiger in Türkisch als in meiner eigenen Sprache, und selbst heute noch, da meine Kraft schwindet und mein Bewußtsein nachläßt, forme ich meine halbwachen Gedanken in Türkisch.
Radu war immer hübsch gewesen, schon als kleines Kind, und konnte, als er die ersten Anzeichen der Mannbarkeit erkennen ließ, als wunderschön bezeichnet werden. Ich blieb häßlich. Radu schmeichelte sich bei den Philosophen und Hauslehrern ein, die uns unterrichteten. Ich widersetzte mich ihren Anstrengungen, uns die byzantinische Kultur nahezubringen.
Radu gab den Kelch auf, während ich genötigt war, wöchentlich statt monatlich daraus zu trinken, dann täglich statt wöchentlich. Radu wurden die Belohnungen und Aufmerksamkeiten unserer Wärter und Lehrer zuteil; ich mußte ihre Peitschen erdulden. Im Alter von dreizehn Jahren hatte Radu gelernt, sowohl die Frauen im Serail zu beglücken, wie auch die männlichen Höflinge, die spät des Nachts in unsere Gemächer kamen.
Ich haßte meinen Halbbruder, und er erwiderte den Haß mit einem noch größeren Maß an Verachtung. Wir wußten beide, wenn wir überlebten - und auf seine Weise war jeder von uns von dem unbändigen Wunsch zu überleben beseelt -, würden wir eines Tages Feinde und Rivalen um den Thron unseres Vaters sein.
Radu folgte seinem Pfad zum Thron, indem er zum Günstling des Sultans Murad II. und Haremsknabe seines Nachfolgers Mehmed wurde. Er blieb in der Türkei bis 1462; mit siebenundzwanzig war Radu immer noch wunderschön, für einen Haremsknaben aber doch zu alt. Nachdem der Sultan ihm den Titel seines Vaters versprochen hatte, mußte Radu feststellen, daß dieser von einem Mann beansprucht wurde, der tollkühner und findiger war als er. Den Thron beanspruchte ich.
Ich erinnere mich an den Tag - ich war sechzehn -, als die Nachricht vom Tod meines Vaters uns am Hofe des Sultans errei chte. Das war im Spätherbst des Jahres 1447. Cazan, der getreue Kanzler meines Vaters, war fünf Tage bis Adrianopel geritten, um uns die Nachricht zu überbringen. Die Einzelheiten waren spärlich und schmerzlich. Die Bojaren und Bürger von Tîrgovişte hatten sich, angestachelt vom habgierigen ungarischen König Hunyadi und dessen Verbündetem aus der Walachei, Wladislaw II., zu einem Aufstand erhoben. Mircea, mein Bruder, war in Tîrgovişte gefangengenommen und lebendig begraben worden. Vlad Dracul, mein Vater, war in den Sümpfen von Balteni bei Bukarest gejagt und ermordet worden. Cazan informierte uns, daß man den Leichnam des Vaters zu einer verborgenen Kapelle in der Nähe von Tîrgovişte gebracht hatte.
Cazan, dessen Altmännertriefaugen noch feuchter als gewöhnlich waren, überreichte mir danach zwei Gegenstände, wie mein Vater ihm aufgetragen hatte - während sie, von den Häschern verfolgt, Richtung Donau flohen -, die mein Erbe sein sollten. Dieses Erbe bestand aus einem wunderschönen, in Toledo geschmiedeten Schwert, das mein Vater im Jahr meiner Geburt von Kaiser Sigismund in Nürnberg bekommen hatte, und dazu das goldene Drachenmedaillon, welches meinem Vater bei der Aufnahme in den Orden des Drachen überreicht worden war.
Ich legte mir das Drachenmedaillon um den Hals, hielt das Schwert hoch über den Kopf, so daß sich das Licht der Fackeln in der funkelnden Klinge spiegelte, und schwor meinen Eid einzig und allein vor Cazan. »Ich schwöre beim Blut Christi und beim Blut des Kelchs«, rief ich mit fester Stimme, »daß Vlad Dracul gerächt werden wird, daß ich eigenhändig das Blut Wladislaws bis zum letzten Tropfen leeren und trinken werde und daß diejenigen, welche diesen Verrat ersonnen und ausgeführt haben, den Tag bedauern werden, da sie Vlad Dracul ermordet und so die Feindschaft von Vlad Dracula, Sohn des Drachen, auf sich zogen. Bis zu diesem Tag werden sie niemals wahres Grauen erlebt haben. Das schwöre ich
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