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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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beim Blut Christi und beim Blut des Kelchs, mögen mir alle Kräfte des Himmels und der Hölle zur Erfüllung dieser feierlichen Aufgabe beistehen.«
    Ich steckte das Schwert in die Scheide, klopfte dem weinenden Kanzler auf die Schulter und kehrte in meine Gemächer zurück, wo ich wach lag und meine Flucht aus dem Reich des Sultans sowie die Rache an Wladislaw und Hunyadi plante.
    Jetzt liege ich wieder wach und erkenne: so wie Klingen aus Toledostahl in den Feuern und glühenden Gußformen geschmiedet werden, so werden Menschen in den Gußformen solcher Schmerzen, Verluste und Ängste geschmiedet. Und wie bei einem kostbaren Schwert, so dauert es auch bei solchen menschlichen Klingen Jahrhunderte, bis sie ihre scharfen Schneiden verlieren.
    Das Licht wird düster. Ich werde so tun, als schliefe ich.

Kapitel 13
     
    Die Zweigstelle der Centers for Disease Control in Colorado bestand aus einem Gebäudekomplex im Vorgebirge über Boulder, in dem Grünstreifen unterhalb der geologischen Formation, die als Flatirons bekannt ist. Die Einheimischen nannten den Komplex immer noch NCAR - ausgesprochen En-Car -, weil er fünfundzwanzig Jahre lang als National Center for Atmospheric Research gedient hatte. Als das NCAR im Vorjahr schließlich zu groß für den Komplex geworden war und ein neues Hauptquartier unten in der Stadt bezogen hatte, da hatten die CDC das Zentrum schnellstens für ihre Zwecke umgebaut.
    Das Gebäude war von I. M. Pei aus denselben dunkelroten pennsylvanischen und permischen Konglomeraten entworfen worden, die die großen, schrägen Klippen der Flatirons bildeten, welche die Vorgebirge über Boulder beherrschten. Seiner Theorie zufolge sollte das sandsteinähnliche Material des Bauwerks im selben Maße verwittern wie die Flatirons selbst, wodurch das Gebäude schließlich in seiner Umgebung ›verschwinden‹ würde. Peis Theorie hatte weitgehend funktioniert. Die Lichter des CDC waren zwar in der Nacht weithin vor dem dunklen Hintergrund des Waldes im Grünstreifen und der Vorgebirge sichtbar, aber bei Tage erweckte ein flüchtiger Blick bei den meisten Touristen vielfach den Eindruck, als wäre das Gebäude auch nur eine von vielen seltsamen Sandsteinformationen an diesem zerklüfteten Abschnitt des Front Range.
    Kate Neuman liebte ihr Büro im CDC Boulder, und nach ihrer Rückkehr aus Bukarest schätzte sie die Ästhetik des Bauwerks fast so, als hätte sie es vorher noch nie gesehen. Ihr Büro lag an der nordwestlichen Ecke des modernen Gebäudes - Pei hatte es als eine Reihe vertikaler Platten und überhängender Schiefer- und Sandsteinkästen mit großen Fenstern entworfen -, und von ihrem Schreibtisch konnte sie die gewaltige Mauer der ersten drei Flatirons im Norden sehen, die wogenden Wiesen und Pinienwälder am Fuß der Flatirons, die langgezogenen Hügelkämme der Fountain-Sandsteinformationen, die aus den spärlichen Wiesen aufragten wie die Schuppenplatten eines Stegosaurus, und sogar die Plateaus selbst, die in Boulder anfingen und sich, soweit das Auge reichte, nach Norden und Osten erstreckten. Tom, ihr Ex-Mann, hatte ihr erklärt, daß die Flatirons einmal Schichten von Sedimentgestein unter einem urzeitlichen Binnenmeer gewesen und vor sechzig Millionen Jahren durch die heftige Bergbildung in den Rockys im Westen aufgeworfen worden waren. Jetzt konnte Kate die Flatirons nicht mehr ansehen, ohne dabei an betonierte Gehwege zu denken, die von Wurzeln aufgebrochen wurden.
    Gleich an der Hintertür des CDC begann ein Weg, und der größere Panoramarundweg war hinter dem nächsten Hang zu erkennen; Wild kam herunter und äste direkt unter ihrem Fenster, und Mitarbeiter hatten Kate einmal gesagt, daß im Sommer keine dreißig Meter von dem Gebäude entfernt einmal ein Berglöwe auf den Bäumen gesehen worden war.
    An das alles dachte Kate nicht. Sie beachtete die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch gar nicht, ebensowenig den blinkenden Cursor auf dem Computermonitor, sondern dachte an ihren Sohn. Sie dachte an Joshua.
     
    Da sie in der letzten Nacht in Bukarest nicht schlafen konnte, hatte sie ihre sämtlichen Taschen genommen, auf den dunklen, regennassen Straßen nach einem Taxi Ausschau gehalten und sich im Krankenhaus neben Joshuas Bett gesetzt, bis es Zeit wurde, zum Flughafen zu fahren. Der Fahrstuhl im Krankenhaus funktionierte nicht, daher mußte sie die Treppe hinauflaufen und war plötzlich überzeugt davon, sie würde das Kinderbett in Station Drei leer vorfinden.
    Joshua

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