Kinder der Nacht
schlief. Die letzte Einheit Blut, die Kate tags zuvor für ihn bestellt hatte, hatte ihm den Anschein blühender Gesundheit wiedergegeben. Kate hatte sich auf die kalte Heizung gesetzt, das Kinn auf die Faust gestützt und ihren Adoptivsohn beim Schlafen beobachtet, bis das erste Licht der Morgendämmerung zu den schmutzigen Fenstern hereinfiel.
Lucian holte sie im Krankenhaus ab. Die letzte Hürde Papierkram, die es dort zu überwinden galt, war nicht so schlimm, wie Kate erwartet hatte. Pater O'Rourke kam wie versprochen vorbei. Als sie und der Priester einander auf der Treppe die Hand schüttelten, folgte sie einem Impuls und gab ihm einen Kuß auf die Wange. O'Rourke lächelte, hielt ihr Gesicht eine ganze Weile zwischen den Händen, und dann - bevor Kate nachdenken oder Einwände vorbringen konnte - segnete er Joshua mit einer sanften Berührung des Daumens auf der Stirn des Babys und dem raschen Zeichen des Kreuzes.
»Ich werde Sie nicht vergessen«, sagte O'Rourke leise, während er Kate und dem Baby die Tür des Dacia aufhielt. Der Priester sah Lucian an. »Fahren Sie vorsichtig, ja?« Lucian hatte nur gelächelt.
Die Straße zum Flughafen war so gut wie menschenleer. Joshua wachte während der Fahrt auf, weinte aber nicht, sondern sah lediglich mit seinen dunklen, fragenden Augen aus dem Kissen in Kates Armen zu ihr auf. Lucian schien Kates Unbehagen zu spüren. »Möchten Sie gerne noch einen meiner Ceauşescu-Witze hören, die ich früher immer erzählt habe?«
Kate lächelte argwöhnisch. »Hast du keine Angst, daß Mikrofone in deinem Auto versteckt sind?«
Lucian grinste. »Die würden nicht besser funktionieren als alles andere in diesem Schrotthaufen«, sagte er. »Außerdem stört sich die Nationale Rettungsfront nicht an Ceauşescu-Witzen. Sie drehen nur durch, wenn wir NRF-Witze erzählen.«
»Okay«, sagte Kate, die das Baby tiefer unter die leichte Decke steckte. »Laß deinen alten Ceauşescu-Witz hören.«
»Okay. Nun, nicht lange vor der Revolution wacht der große C. eines Morgens in guter Stimmung auf und geht auf den Balkon hinaus, um die Sonne zu begrüßen. ›Guten Morgen, Sonne‹, sagt er. Stellen Sie sich seine Überraschung vor, als die Sonne antwortet: ›Guten Morgen, Herr Präsident.‹ Ceauşescu stürzt ins Schlafzimmer zurück und weckt Elena. ›Wach auf!‹ sagt er. ›Sogar die Sonne respektiert mich jetzt.‹ - ›Wie schön‹, sagt die Frau des höchsten Führers. Und sie schläft weiter. Ceauşescu denkt sich, daß er vielleicht ein bißchen den Verstand verliert, daher geht er zur Mittagszeit wieder auf den Balkon hinaus. ›Guten Tag, Sonne‹, sagt er. Wieder antwortet die Sonne mit respektvoller Stimme: ›Guten Tag, Herr Präsident ...‹«
»Hat der Witz auch eine Pointe?« fragte Kate. Sie konnte die Ausfahrt des Flughafens keinen Kilometer vor ihnen sehen. Inzwischen regnete es heftiger. Sie fragte sich, ob der PanAm-Flug nach Warschau abgesagt werden konnte.
›»Guten Tag, Herr Präsident‹, sagte die Sonne am Mittag«, fuhr Lucian fort. Er drückte auf den Blinkerhebel, aber kein Klick ertönte, kein Licht blinkte. Er achtete nicht darauf und bog so auf die lange Zufahrt zum Flughafen ab. »Ceauşescu ist so aufgeregt, daß er versucht, Elena auf den Balkon zu locken, aber die ist damit beschäftigt, ihr Make-up aufzulegen.
Schließlich, bei Sonnenuntergang, kann er sie überreden, mit auf den Balkon zu gehen. ›Paß auf, hör zu‹, sagt er zu seiner Frau, die gleichzeitig Vorsitzende des Nationalen Rats für Wissenschaft und Technologie ist. ›Die Sonne respektiert mich.‹ Er wendet sich dem wunderschönen Sonnenuntergang zu. ›Guten Abend, Sonne‹, sagt er. ›Verpiß dich, Arschloch‹, sagt die Sonne. Ceauşescu ist erbost. Er verlangt eine Erklärung. ›Heute morgen und heute mittag hast du mich mit Respekt angesprochen, platzt er heraus. ›Jetzt beleidigst du mich. Warum?‹«
Kate sah einen Parkplatz in der Reihe von Autos und Taxen an der halbkreisförmigen Ringstraße zur Schalterhalle, aber bevor sie darauf deuten konnte, bremste Lucian und parkte geschickt ein. Er unterbrach seine Geschichte nicht.
»›Warum beleidigst du mich jetzt?‹ will unser Staatsoberhaupt wissen. ›Du Dummkopf‹, antwortet die Sonne, ›weil ich jetzt im Westen bin.‹«
Er kam zur Beifahrerseite und hielt einen Regenschirm, während sie und das Baby ausstiegen. Kate lächelte anerkennend - mehr über seine Höflichkeit als über den Witz. Sie gingen
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