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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Dann wandte sich Lucian ab und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, durch die menschenleere Schalterhalle.
    Kate trug Joshua durch den Gang der Sicherheitszone, einen schmalen Korridor entlang und in den Ankunfts- und Abflugsbereich. Aus verborgenen Lautsprechern drang Gesang, bei dem es sich um einen Kinderchor handeln mochte, der rumänische Folklore sang, aber die Stimmen klangen so schrill, die Aufnahme so zerkratzt und verzerrt, daß die Wirkung alles andere als beruhigend oder angenehm war; Kate mußte an einen Chor kreischender Folteropfer denken. Ein rundes Dutzend weiterer Passagiere wartete auf den Bordruf, und Kate sah an den schlechtsitzenden Kleidungsstücken, daß es sich entweder um rumänische Beamte handelte, die nach Warschau reisten, oder um Polen, die in die Heimat zurückkehrten. Sie sah keine Amerikaner, keine Deutschen, keine Briten - überhaupt keine Touristen, abgesehen von ihr selbst.
    Sie stand etwas abseits der Gruppe und sah sich nervös in der Schalterhalle um. Der Raum war riesig, für Hunderte Passagiere entworfen, das Kuppeldach ragte achtzehn Meter oder höher auf, und jedes Quietschen von Schuhen, jedes Husten hallte unbarmherzig. An der nördlichen Wand standen einige Buden - ein Schalter, wo man zum offiziellen Wechselkurs Geld tauschen konnte, ein verstaubtes Schild des Nationalen Tourismusbüros -, aber die waren nicht besetzt. Die meisten der wartenden Passagiere rauchten und sahen verstohlen zu den bewaffneten Wachen, die an der Treppe zu den Untergeschossen, an den Notausgängen und am Zollschalter standen. Weitere Wachsoldaten, die die automatischen Waffen unter den Arm eingehängt hatten, wanderten in Zweiergruppen durch die Schalterhalle.
    Joshua war immer noch unruhig, aber Kate wiegte ihn eifrig, sprach leise auf ihn ein und gab ihm einen Schnuller. Er saugte an dem Gummi und hielt die Tränen zurück. Kate wünschte sich, sie hätte selbst einen Schnuller, um ihre Nerven zu beruhigen, und in diesem albernen Augenblick hatte sie eine plötzliche Einsicht, warum so viele Menschen in den osteuropäischen Polizeistaaten Kettenraucher waren.
    Sie ging zu einem der schmalen, hohen Fenster hinüber. Zwei Flugzeuge standen auf dem Asphalt in der Nähe der Schalterhalle; bei dem kleineren handelte es sich eindeutig um irgendeinen offiziellen Jet der Regierung, das andere Flugzeug, das wie eine DC-9 aussah, wartete nur darauf, sie und Joshua nach Warschau zu bringen, wo sie weiter nach Frankfurt fliegen würden. Mehrere gepanzerte Personaltransporter, deren Abgaswolken in die stehende Luft entwichen, fuhren zwischen den Flugzeugen. Kate konnte Panzer sehen, die am Rand der Startbahn parkten, des weiteren sah sie Artilleriegeschütze unter einem Tarnnetz bei einer Baumreihe. Soldaten in grauen Uniformen kauerten bei ihren Lastwagen oder um ein Feuer in einer Tonne herum.
    Viel weiter entfernt standen eine Reihe Tarom-Passagierflugzeuge auf einem unkrautüberwucherten Rollfeld. Diese Flugzeuge sahen wie grobschlächtige Boeing 727 aus, die bessere Zeiten gesehen hatten, bevor sie ausrangiert wurden: sie waren rostig, sie hatten Flicken auf Tragflächen und Rumpf, eines hatte zwei platte Reifen. Kate bemerkte plötzlich die bewaffneten Wachen, die unter den Flugzeugen dahinschritten - gelangweilte Männer, die sich bemühten, aus dem heftigen Regen zu bleiben -, und da wurde ihr zu ihrem Staunen bewußt, daß diese Flugzeuge mit ziemlicher Sicherheit noch in Betrieb waren.
    Sie war ungeheuer froh, daß sie fast doppelt soviel bezahlt hatte, um mit PanAm nach Warschau und Frankfurt zu fliegen, statt die staatliche rumänische Fluggesellschaft zu nehmen. »Mrs. Neuman?«
    Sie wirbelte herum und sah zwei Männer vom Wachpersonal in schwarzen Ledermänteln, die hinter ihr standen. Drei Soldaten mit automatischen Waffen hielten sich in der Nähe auf. »Mrs. Neuman?« sagte der größere der beiden Wachmänner wieder.
    Kate nickte. Es war ihr unmöglich, nicht an alte Kriegsfilme zu denken, wo die Gestapo Reisende festhielt. Sie erschauerte innerlich, als sie sich vorstellte, wie es sein mußte, in so einer Gesellschaft mit einem gelben Davidsstern am Mantel zu reisen, das Wort Jude im Paß stehen zu haben. Sie erwartete, daß diese zeitgenössischen Gestapotypen ihre Papiere verlangen würden.
    »Ihren Paß«, schnappte der große Mann. Sein Gesicht war von Kratern von Windpockennarben übersät, seine Zähne waren braun.
    Sie gab ihm ihren Paß und versuchte, nicht ängstlich

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