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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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haben, ist eine Kopie - es wurde erst ein Jahrhundert nach Vlad Ţepeşs Tod angefertigt. Möglicherweise ist es nicht besonders genau.«
    O'Rourke nickte wieder.
    Kate betrachtete die Lichter der Altstadt. Von unten, von der Looping-Achterbahn, ertönten Schreie. »Aber wenn es eine Familienähnlichkeit ist, dann könnte es eine Verbindung mit ... etwas geben.« Sie merkte selbst, wie lahm sich das anhörte, und schloß die Augen.
    »In Rumänien leben etwa vierundzwanzig Millionen Menschen«, sagte O'Rourke leise. »Es besitzt eine Fläche von ... wieviel? ... rund hunderttausend Quadratmeilen. Irgendwo müssen wir anfangen, auch wenn unsere sämtlichen Theorien reichlich beschissen sind.«
    Kate schlug die Augen auf. »Müssen Sie ein Ave Maria oder so was aufsagen, wenn Sie fluchen, O'Rourke? Ich meine, Buße tun?«
    Er rieb sich die Wangen, lächelte aber nicht. »Ich erteile mir Dispens, da ich mir selbst keine Absolution erteilen kann.« Er sah auf die Uhr. »Es ist schon nach sechs, Neuman. Wir sollten ein nettes Restaurant suchen und früh zu Bett gehen. Das Tragflügelboot startet um acht, und wenn nichts sonst, so sind die Österreicher wenigstens pünktlich.«

Kapitel 22
     
     
    Das Tragflügelboot war schlank und besaß eine geschlossene Kabine, deren vorderer Abschnitt ein Dutzend Stuhlreihen mit nicht mehr als fünf Stühlen pro Reihe enthielt; die gerundeten Perspexscheiben ermöglichten einen Rundblick auf beide Ufer der Donau, während die Motoren warmliefen und das Boot vorsichtig vom Dock entfernten. Die Altstadt blieb rasch hinter ihnen zurück, und schon nach wenigen Augenblicken waren die einzigen Spuren von Leben die höhergelegenen Fischerei- und Jagdhütten auf beiden Seiten des Flusses, und wenig später verschwanden auch diese, und nur noch Wald säumte die Ufer.
    Kate studierte den Zeitplan der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft, stellte fest, daß die Reise auf der Donau nach Budapest rund fünf Stunden dauern würde, und sagte zu O'Rourke: »Vielleicht hätten wir direkt hinfliegen sollen.«
    Der Priester drehte sich auf seinem Sitz um. Er trug Jeans, ein Baumwollhemd und eine abgetragene Fliegerjacke aus Leder. »Direkt nach Bukarest?«
    Kate schüttelte den Kopf. »Ich glaube immer noch nicht, daß sie mich ins Land gelassen hätten. Aber wir hätten direkt nach Budapest fliegen können.«
    »Stimmt, aber die Zigeuner wollten sich erst heute abend mit uns treffen.« Er wandte sich wieder ab und betrachtete das südliche Ufer, während das Tragflügelboot auf fünfunddreißig Knoten beschleunigte und auf den vorderen Flossen hochstieg.
    Die Fahrt verlief vollkommen ruhig. »Wenigstens bekommen wir auf diese Weise die Naturschönheiten zu sehen.«
    Warmes Sonnenlicht schien auf ihre Sitzreihe, und Kate döste halb, während das Tragflügelboot sie um eine Krümmung der Donau bei Bratislawa herum nach Nordosten brachte, dann nach Südosten, bis die Stimme einer jungen Frau über die Sprechanlage verkündete, daß das Ufer zur Rechten jetzt zu Ungarn gehörte, das zur Linken dagegen noch zur Tschechoslowakei. Hier in diesem Wald am Fluß schien der Herbst schon weiter fortgeschritten zu sein, viele Bäume waren kahl. Als sie nach Süden steuerten, bewölkte sich der Himmel, und der Streifen warmen Sonnenlichts, der auf Kate fiel, wurde erst schwächer und verschwand dann völlig. Warme Luft wurde aus der Lüftung des Schiffs geblasen, um die plötzliche Kälte draußen auszugleichen.
    O'Rourke hatte daran gedacht, vom Hotel ein Lunchpaket zusammenstellen zu lassen; jetzt öffneten sie die Kartons und aßen Salat und Roastbeef, während die Donau sich nach Süden in ungarisches Hoheitsgebiet wand. Sie waren gerade mit dem Essen fertig, als O'Rourke sagte: »Dieses Gebiet hier nennt man das Donauknie. Es war schon zu Zeiten der Römer wichtig ... die Römer unterhielten hier tatsächlich sogar Sommerwohnsitze. Es war jahrhundertelang die Grenze des Imperiums.«
    Kate sah zu den bewaldeten Ufern und konnte sich gut und gerne vorstellen, daß das nordöstliche Ufer den Rand der bekannten Welt bildete. Der kalte Wind wehte spiralförmig Laub auf die graue, aufgewühlte Oberfläche der Donau.
    »Dort«, sagte O'Rourke und deutete nach rechts. »Das ist Visegrăd. Die ungarischen Könige ließen diese Zitadelle im dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert erbauen. König Matthias besetzte sie zur Blütezeit der Renaissance im fünfzehnten Jahrhundert.«
    Kate warf kaum einen Blick nach rechts.

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