Kinder der Stürme
alles verwirrte sie, aber sie war glücklich, daß sie bei ihren Freunden war.
Coll kam und sang für sie. Barrion war bei ihm. Barrion, mit dem schnellen Grinsen und der tiefen knorrigen Stimme. Die alte verkrüppelte Sena saß auf der Bettkante und sagte nichts. Einmal erschien Rabe. Er war ganz in schwarz gekleidet und sah stolz und wundervoll aus. Ihr Herz begann sofort wieder zu schmerzen, aus unausgesprochener Liebe zu ihm. Garth brachte ihr kochendheißen Kivas. Dann erzählte er ihr Witze, sie lachte und vergaß zu trinken. Val Einflügler stand im Türrahmen. Er beobachtete alles, ohne eine Miene zu verziehen. Auch ihre alte Freundin S’Rella kam des öfteren und erzählte von den alten Zeiten. Und Dorrell, ihre erste Liebe und immer noch ein guter Freund, kam hin und wieder. Seine Anwesenheit war ihr sehr angenehm und lenkte sie von den Schmerzen ab. Auch andere kamen: ehemalige Liebhaber, von denen sie glaubte, sie nie mehr zu treffen. Sie sprachen mit ihr, entschuldigten oder beschuldigten sich, dann verschwanden sie wieder und ließen all ihre Fragen unbeantwortet. Da war der pausbäckige blonde T'mar, der ihr Geschenke brachte, die er gesammelt hatte und Halland, der Sänger. Er war stark und trug einen schwarzen Bart. Er sah noch genauso aus wie damals, als sie zusammen auf Klein Amberly lebten. Dann erinnerte sie sich, daß sie über dem Meer abgestürzt war. Sie weinte, und die Tränen wischten seinen Anblick fort.
Es gab noch einen Besucher. Ein Mann, den Maris nicht kannte. Und er war doch kein Fremder. Sie kannte seine Berührung, seine zarten sicheren Hände und den Klang seiner melodischen Stimme, wenn er ihren Namen aussprach. Im Gegensatz zu den anderen Besuchern kam er dicht an sie heran, hielt ihren Kopf und gab ihr heiße Milchsuppe, Gewürztee und einen dickflüssigen bitteren Trank, der sie schlafen ließ. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann und wo sie ihn getroffen hatte, aber sie war glücklich, wenn sie ihn sah. Er war dünn und klein, aber drahtig. Seine Backenknochen zeichneten sich durch die blasse Haut seines Gesichtes ab, sie trug Altersflecken. Er hatte zwar eine Stirnglatze, ansonsten aber volles weißes Haar. Seine Augen, die unter buschigen Brauen und einem Netz von kleinen Falten lagen, leuchteten wie blaue Diamanten. Aber obwohl er oft kam und Maris kannte, konnte sie sich nicht an seinen Namen erinnern.
Einmal, als er an ihrem Bett stand und sie beobachtete, versuchte Maris, sich im Halbschlaf freizustrampeln. Sie sagte ihm, daß ihr fürchterlich heiß wäre und bat ihn, die Decken fortzunehmen.
Er schüttelte den Kopf. „Du hast Fieber“, sagte er. „Der Raum ist kühl, und du bist sehr krank. Du brauchst die Wärme der Decken.“
Verwirrt durch dieses Phantom, das endlich geantwortet hatte, bemühte sich Maris, sich aufzusetzen um ihn besser zu sehen. Ihr Körper reagierte schwerfällig. Stechender Schmerz durchfuhr ihre Unke Seite.
„Langsam“, sagte der Mann. Seine kühlen Finger strichen über ihre Brauen. „Deine Knochen müssen erst zusammenwachsen, bevor du dich bewegst. Hier, trink das.“ Er stützte ihren Kopf und preßte den glatten dicken Rand einer Tasse gegen ihre Lippen. Sie schmeckte das vertraute Bittere und schluckte gehorsam. Die Spannung und der Schmerz wichen, während sie ihren Kopf in das Kissen sinken ließ.
„Schlaf jetzt und mach dir keine Sorgen“, sagte der Mann.
Unter höchsten Anstrengungen gelang es ihr, zu sprechen:
„Wer …?“
„Ich heiße Evan“, sagte er. „Ich bin ein Heiler. Seit Wochen bist du in meiner Obhut. Du bist auf dem Weg der Besserung, aber du bist noch sehr schwach. Du mußt jetzt schlafen und dich schonen.“
„Wochen.“ Das Wort beängstigte sie. Sie mußte schrecklich krank sein, fürchterlich verletzt, wenn sie sich wochenlang im Hause des Heilers befand. „Wo …?“
Er legte seine starken dünnen Finger auf ihre Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. „Auf Thayos. Keine weiteren Fragen. Später, wenn es dir bessergeht, werde ich dir alles erklären. Schlaf jetzt. Laß deinen Körper sich selbst heilen.“
Maris gab den Kampf mit dem Schlaf auf. Er hatte gesagt, sie würde genesen und sollte ihre Kräfte schonen. Sie wünschte sich nur, während sie einschlief, daß sie nicht wieder diese Träume hätte, mit dem schrecklichen Flug im Sturm und dem fürchterlichen Aufschlag ihres Körpers.
Später, als sie aufwachte, war die Welt dunkel, lediglich das schwache Glühen der Kohlen
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