Kinder der Stürme
im Kamin gab den Schatten Formen. Während sie vor sich hin starrte, erschien Evan auch schon. Er stocherte in dem Feuer, strich über ihre Brauen und setzte sich dann vorsichtig auf ihr Bett.
„Das Fieber ist gesunken“, sagte er, „aber dir geht es nicht gut. Ich weiß, daß du dich bewegen möchtest, und es wird schwer sein, es nicht zu tun. Aber du darfst es nicht. Du bist noch sehr schwach, und dein Körper wird besser heilen, wenn du es nicht probierst. Falls du es nicht allein fertigbringst, muß ich dir mehr Tesis geben.“
„Tesis?“ Der Klang ihrer Stimme erschien ihr fremd. Sie räusperte sich, um besser sprechen zu können.
„Die bittere Medizin gibt deinem Körper und deinem Kopf Ruhe, sie gibt Schlaf und Entspannung und nimmt den Schmerz.
Es ist ein sehr wirkungsvoller Trank mit vielen Heilkräutern, aber zuviel davon ist gefährlich. Ich mußte dir mehr geben, als ich wollte, um dich ruhigzustellen. Andere Zwangsmaßnahmen waren nicht gut für dich – du hast dich herumgeworfen, gestrampelt und versucht, dich zu befreien. Du wolltest deinen gebrochenen Körperteilen keine Ruhe lassen, damit sie besser heilen konnten. Aber das Trinken von Tesis ließ dich in den ruhigen, heilsamen und schmerzlosen Schlaf fallen, den du brauchtest. Aber mehr möchte ich dir davon nicht geben. Du wirst Schmerzen haben, aber ich denke, du kannst sie ertragen. Falls nicht, werde ich dir noch etwas Tesis geben. Hast du mich verstanden, Maris?“
Sie sah in seine strahlend blauen Augen. „Ja“, sagte sie. „Ich verstehe. Ich versuche, ruhig zu liegen. Erinnere mich ruhig daran.“
Er lächelte. Sein Gesicht sah dadurch plötzlich sehr jung aus. „Ich werde dich daran erinnern“, sagte er. „Du bist ein aktives Leben gewöhnt. Bewegung, ständiges Kommen und Gehen. Aber du kannst nirgendwohin gehen, um deine Kraft zurückzugewinnen, du mußt darauf warten, indem du ruhig liegen bleibst.“
Maris versuchte mit dem Kopf zu nicken, fühlte aber sogleich wieder den stechenden Schmerz in ihrer linken Seite. „Ich bin nie ein geduldiger Mensch gewesen“, sagte sie.
„Nein, aber ich habe gehört, daß du stark bist. Benutze diese Stärke, um dich ruhig zu halten, und du wirst schnell genesen.“
„Du mußt mir die Wahrheit sagen“, sagte Maris. Sie beobachtete sein Gesicht und versuchte darin die Antwort abzulesen. Angst stieg in ihrem Körper auf wie ein kaltes Gift. Sie sehnte sich nach der Kraft, sich aufzusetzen und ihre Arme und Beine bewegen zu können.
„Ich sage dir, was ich weiß“, sagte Evan.
Die Angst schnürte ihr den Hals zu. Sie konnte kaum sprechen. Leise flüsternd sagte sie: „Wie … wie schwer bin ich verletzt?“ Sie schloß die Augen, denn diesmal hatte sie Angst vor der Antwort auf seinem Gesicht.
„Du warst böse zugerichtet, aber du hast es überlebt.“ Er streichelte ihre Wange. Sie öffnete die Augen. „Bei dem Sturz hast du dir beide Beine gebrochen, eines war viermal gebrochen. Ich habe sie gerichtet, und sie scheinen gut zu heilen – zwar ginge es schneller, wenn du jünger wärst, aber ich denke, du wirst nichts zurückbehalten. Dein linker Arm wies einen Splitterbruch auf, ein Knochen hatte das Heisch durchstoßen. Zuerst fürchtete ich, ihn amputieren zu müssen. Aber ich brauchte es nicht.“ Er preßte seine Finger auf ihre Lippen und zog sie dann zurück – wie ein Kuß. „Ich habe die Wunden mit Feuerblumenessenz und anderen Kräutern gereinigt. Wahrscheinlich wird dein Arm lange Zeit steif bleiben, aber meines Erachtens wurde kein Nerv verletzt. Wenn du geduldig bist und viel übst, wird er wieder stark und voll gebrauchsfähig werden. Beim Aufprall hast du dir zwei Rippen gebrochen und bist mit dem Kopf gegen den Felsen geschlagen. Die ersten drei Tage, während du in meiner Obhut warst, bist du bewußtlos gewesen, und ich wußte nicht, ob du das Bewußtsein wiedererlangen würdest.“
„Nur drei gebrochene Glieder“, sagte Maris. „Alles in allem, halb so schlimm.“ Sie zog eine Grimasse. „Die Botschaft …“
Evan nickte. „Du hast sie im Delirium dauernd wiederholt, wie den Refrain eines Liedes, du wolltest sie unbedingt überbringen. Mach dir deswegen keine Sorgen. Der Landmann wurde über deinen Unfall informiert und hat bereits einen anderen Flieger mit der Botschaft zum Landmann von Thrane geschickt.“
„Natürlich“, sagte Maris. Eine Last, die ihr kaum bewußt war, wurde von ihr genommen.
„Eine dringende Botschaft“, sagte Evan
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