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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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an der linken Hand fehlt. Vielleicht ist er dir bei den letzten Wettkämpfen aufgefallen. Er vollführte tollkühne Doppelloopings – es heißt, er soll der zweite Flieger von Szyllas Landspitze werden, weil die Landfrau in ihn verliebt ist. Kannst du dir das vorstellen – eine Landfrau mit einem Flieger verheiratet?“
    Maris lächelte ein wenig. „Das hat es schon einmal gegeben.“
    „Aber nicht zu unserer Zeit. Hast du von der Fischereiflotte von Groß Amberly gehört? Sie wurde von einer Szylla zerstört, obwohl es den Männern gelang, sie zu töten. Trotz des Verlustes aller Boote sind die meisten mit dem Leben davongekommen. Eine tote Szylla ist an den Ufern von Culhall angeschwemmt worden – ich habe ihren Kadaver gesehen.“ Er zog die Augenbrauen hoch und hielt sich die Nase zu. „Man konnte sie sogar gegen den Wind riechen! In Artellia erzählt man, daß sich zwei Fliegerprinzen wegen der Vormacht über die Eiseninseln bekämpfen.“ Dorrel hielt inne und sah zum Eingang, als eine gewaltige Böe an der schweren Hüttentür rüttelte.
    „Ahay“, sagte er und wandte sich wieder dem Tee zu. „Es ist nur der Wind.“
    „Was hast du?“ fragte Maris. „Du bist so unruhig. Erwartest du jemanden?“
    „Ich dachte, Garth würde kommen.“ Er zögerte. „Wir wollten uns heute nachmittag hier treffen, aber bisher ist er noch nicht aufgetaucht. Er wollte eine Botschaft nach Culhall bringen, auf dem Rückflug wollten wir uns hier treffen und besaufen.“
    „Vielleicht hat er sich allein betrunken, du kennst ja Garth.“ Sie sprach unbekümmert, bemerkte aber, daß er ernstlich besorgt war. „Es gibt viele Dinge, die ihn aufhalten können – vielleicht mußte er sofort eine Antwort überbringen. Oder er hat sich entschieden, an einer Party auf Culhall teilzunehmen. Ich bin sicher, es ist nichts passiert.“
    Trotz ihrer Worte war auch Maris besorgt. Als sie Garth zum letzten Mal gesehen hatte, war er fett geworden. Das bedeutete Gefahr für einen Flieger. Und er liebte Parties, besonders Wein und gutes Essen. Sie hoffte, daß er gesund und munter war. Er war niemals verantwortungslos gewesen, das war beruhigend zu wissen, aber er war auch nie mehr als ein solider und durchschnittlicher Flieger gewesen. Mit zunehmendem Alter und Gewicht ließ seine Reaktionsfähigkeit nach. Sein jugendliches Talent verschwand allmählich.
    „Du hast recht“, sagte Dorrel, „Garth kann auf sich selbst aufpassen. Wahrscheinlich hat er ein paar gute Freunde in Culhall getroffen und mich darüber vergessen. Er trinkt gerne, aber fliegt niemals, wenn er betrunken ist.“ Er leerte seinen Krug und lächelte gekünstelt. „Wir sollten das Thema wechseln und ihn vergessen. Wenigstens für heute Nacht.“
    Ihre Blicke trafen sich, und sie setzten sich auf eine Bank, nahe am Feuer. Eine Zeitlang gelang es ihnen, ihre Sorgen und Ängste zu vergessen. Sie tranken Tee und später Wein, erzählten von den guten alten Zeiten und tratschten über Flieger, die sie beide kannten. Der Abend flog dahin. Später in der Nacht gingen sie gemeinsam ins Bett und tauschten nicht nur Erinnerungen aus. Es tut gut, jemanden im Arm zu halten, den man liebt, dachte Maris. Und es war schön, von jemandem gehalten zu werden, nach den langen Nächten allein im schmalen Bett. Sein Kopf lag an ihrer Schulter, sein Körper strahlte wohltuende Wärme aus. Schließlich schlief Maris ein. Sie fühlte sich warm und geborgen. Aber in dieser Nacht träumte sie wieder vom Abstürzen.
    Am nächsten Morgen stand Maris früh auf. Sie fror, ihre Träume hatten sie geängstigt. Sie ließ Dorrel schlafend zurück und aß allein im Gemeinschaftsraum etwas harten Käse und Brot zum Frühstück. Als die Sonne am Horizont aufging, legte sie ihre Flügel an und gab sich dem Morgenwind hin. Mittags war sie bereits auf Seezahn und flog Wache für S’Rella und einen Jungen namens Jan, die beide gerade flügge geworden waren.
    Sie blieb noch eine weitere Woche bei den Holzflüglern und beobachtete ihre langsamen Fortschritte in der Luft. Sie half ihnen bei ihren Übungen und abends, am Feuer, erzählte sie ihnen Geschichten von berühmten Fliegern.
    Aber allmählich bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie schon so lange von Klein Amberly fort war. Sie beschloß abzureisen und versprach Sena, rechtzeitig für die Vorbereitungen zu den Wettkämpfen zurück zu sein.
    Der Flug nach Klein Amberly dauerte einen ganzen Tag. Als sie endlich das Licht des vertrauten Leuchtturmes

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