Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
Vom Netzwerk:
Eiland sehen, und in weiterer Entfernung lagen die Nebelbänke, die die südlichsten Ausläufer von Groß Shotan einhüllten.
    Maris begann zu kreisen und verringerte allmählich ihre Geschwindigkeit, denn sie war sich bewußt, wie leicht sie über ihr Ziel hinausschießen konnte. Widerstreitende Luftwirbel flüsterten ihr ins Ohr, verspotteten sie, versprachen ihr in größerer Höhe eine Brise nach Norden. Sie stieg wieder auf und suchte sie in den kälteren Luftschichten hoch über der See. Nun lagen Groß Shotans Küste, Seezahn und Eiland unter ihr auf dem metallisch grauen Ozean, wie Spielzeug auf einem Tisch. Sie sah die winzigen Umrisse von Fischerbooten in den Häfen und Buchten von Shotan und Seezahn auftauchen. Hunderte von Möwen und Raubdrachen umkreisten die scharfen Klippen von Eiland.
    Plötzlich wurde Maris bewußt, daß sie S’Rella belogen hatte. Sie hatte ein Zuhause. Es war hier, im Himmel mit dem kalten steifen Wind hinter ihr und den Flügeln auf ihrem Rücken. Die Welt dort unten, mit all ihren Sorgen über Handel und Politik, Nahrung, Krieg und Geld war ihr fremd. Selbst in den besten Zeiten hatte sie sich dort unwohl gefühlt. Sie war ein Flieger. Und wie allen Fliegern fehlte ihr etwas, wenn sie die Flügel abnahm.
    Sie lächelte verstohlen und geheimnisvoll und machte sich auf den Weg, ihre Botschaft zu überbringen.
    Der Landmann von Groß Shotan war ein vielbeschäftigter Mann. Er hatte die schwere Aufgabe, die älteste, reichste und am dichtesten bevölkertste Insel von Windhaven zu regieren. Als Maris ankam, befand er sich gerade in einer Konferenz – wegen eines Fischereistreites mit Klein Shotan und Skulny –, aber er kam sofort heraus, um sie zu empfangen. Flieger und Landmann waren gleichgestellt, und für jemanden, der so mächtig war wie er, war es sogar gefährlich, sie von oben herab zu behandeln. Ungeduldig vernahm er Senas Botschaft und versprach, daß die Nachricht am nächsten Morgen durch einen Flieger zu den Östlichen Inseln gebracht würde.
    Maris hängte ihre Flügel an die Wand des Konferenzraumes im Haus des Alten Kapitäns, wie das betagte große Haus hieß, und verbrachte den Nachmittag damit, ziellos durch die Straßen der Stadt zu streifen. Es war die einzige richtige Stadt auf Windhaven, die älteste und größte. Sie hieß Sturmstadt und war von den Sternenseglern erbaut worden. Maris fand alles grenzenlos faszinierend. Überall standen Windmühlen, ihre großen Flügel drehten sich in der leichten Brise. Hier lebten mehr Menschen als auf Klein und Groß Amberly zusammen. Es gab Geschäfte und Hunderte verschiedene Marktbuden, die Gebrauchsgegenstände und wertlosen Tand verkauften. Sie verbrachte viele Stunden auf dem Markt, stöberte herum und lauschte den Geschichten, aber sie kaufte nur wenig. Später nahm sie ein leichtes Abendessen, geräucherten Mondfisch und schwarzes Brot, zu sich und spülte alles mit einem Krug Kivas hinunter, dem heißen Gewürzwein, auf den Shotan so stolz war. In dem Lokal gab ein Sänger seine Lieder zum besten. Maris hörte ihm höflich zu, obwohl sie ihn für schlechter als ihren Bruder Coli oder die anderen Sänger von Amberly hielt.
    Nach einem kurzen Schauer, der die Straßen der Stadt mit Regen gewaschen hatte, flog sie von Sturmstadt los. Es begann schon zu dämmern. Während ihres Fluges wurde sie von einem starken Rückenwind getrieben. Als die Nacht hereinbrach, hatte sie Eyrie erreicht.
    Im hellen Sternenlicht ragte es schwarz aus der See unter ihr. Die Mauern der alten verwitterten Festung stiegen sechshundert Fuß hoch aus dem schäumenden Meer. Maris sah, daß die Fenster erleuchtet waren. Sie flog einen Bogen und setzte geschickt im Sand auf dem Landestreifen auf. Weil sie allein war, brauchte sie einige Minuten, um die Flügel abzunehmen und zu falten. Sie hängte sie an den Haken gleich hinter der Tür.
    Ein kleines Feuer prasselte im Kamin des Gemeinschaftsraumes. Davor saßen zwei Flieger, die sie nur vom Sehen kannte. Die beiden waren in ein Geechispiel vertieft und schoben weiße und schwarze Steine auf dem Spielbrett hin und her. Einer von ihnen winkte ihr zu. Als sie seine Begrüßung durch ein Nicken erwiderte, sah er schon wieder angestrengt auf das Spielfeld.
    Ein weiterer Flieger hatte es sich in einem Sessel am Feuer bequem gemacht. Er hielt einen Steinkrug in der Hand und starrte in die Flammen. Als sie hereinkam, blickte er auf. „Maris“, sagte er und erhob sich lächelnd. Er stellte den Krug

Weitere Kostenlose Bücher