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Kinder des Donners

Kinder des Donners

Titel: Kinder des Donners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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wußte
nur, daß die Stimme streng und männlich war, die eines
Gefängniswärters. »Bis dahin haben wir auch den Be- weis für Sie.«
    Bißchen voreilig, diese Entscheidung, was?
    Doch sie war klug genug, das nicht laut auszuspre- chen. Sie war auf dem Weg hierher geschlagen worden,
und ihr tat jetzt schon alles weh; sie hatte keine Lust, es noch schlimmer zu machen.
    Und danach war da die Zelle. Kahle Wände. Nichts zu essen, nichts zu trinken, nicht einmal eine Liegemög- lichkeit oder etwas, mit dem sie sich hätte einwickeln können: lediglich eine Toilettenschüssel aus Porzellan in der Ecke, ohne Brille darauf. Das widersprach den
AIDS-Bestimmungen, doch seit wann befolgte diese be-
schissene Regierung die Gesetze, die sie erließ? Außer- dem gab es sowieso jede Menge Lücken darin. Da sie
noch minderjährig war, hätte sie Anspruch darauf ge- habt, in dieser schwierigen Lage eine für sie zuständige erwachsene Person zur Seite zu haben, doch als sie ver- suchte, darauf zu beharren ...
    Irgendwie gelang es ihr zu schlafen; sie trank einen Becher mit fadem Tee, der ihr Frühstück darstellte, er- schien anderthalb Stunden später, als die wundervollen Computer von New Scotland Yard verkündet hatten, vor Gericht, wurde zu einer Strafe von zehntausend Pfund verurteilt, die sie nicht bezahlen konnte, ersatz-
weise zu einer Haftstrafe, weil sie einen >biologischen Anschlag< auf einen Freier verübt hatte (das war ein Re- likt aus den angsterfüllten Tagen, als AIDS-Opfer
    manchmal absichtlich die Krankheit weitergaben und
entsprechende Bekenntnisse mit Lippenstift auf dem Badezimmerspiegel hinterließen); und um drei Uhr nachmittags war sie in der Krankenstation einer Ju- gendhaftanstalt zur Zwangsbehandlung einer der Mel- depflicht unterliegenden Krankheit.
    Kaltblütig überlegte sie, was von den Dingen um sie herum sie am besten als Waffe benutzen könnte — zer- brochenes Glas zum Beispiel, oder gebrauchte Spritzen. Dann beruhigte sie sich etwas, da ihr einfiel, daß es ihr in wenigen Tagen möglich wäre, sich ohne Gewalt, nur durch Überredungskraft, sich den Weg hier heraus zu bahnen.
    Das Warten würde nicht leicht werden. Doch sie wür- de es hinter sich bringen. In der Zwischenzeit: kleine Brötchen backen.
    Ganz kleine.
    Selbst als ein widerlicher Geistlicher mit einer hohen, weinerlichen Stimme aufkreuzte und ihr erklärte, daß sie ein Instrument des Satans sei und ihre Bestrafung verdiente.
    »Knight!«
    Sie zuckte zusammen und drehte sich blitzartig um.
    »Geh ins Büro des Gefängnisgeistlichen! Du hast Be- such!«
    Ihr Herz sackte herab. O nein! Ausgerechnet jetzt, da ich merke, wie die Kraft wiederkommt! Morgen wäre ich in der Lage, sie wirkungsvoll einzusetzen! Ich möchte wetten, er hat Missionare angeheuert, die meine Seele retten sollen!
    Doch sie gehorchte lammfromm. Selbst während ih- rer Periode glaubte sie noch genügend von ihrer Bega- bung übrigbehalten zu haben, um das Schlimmste ab-
zuwenden, das andere sich für sie ausgedacht haben könnten, wenn sie auch keine direkten Befehle erteilen konnte.
    Was ihr dann allerdings widerfuhr, war etwas ganz an- deres, als sie erwartet hatte. Sicher, der Geistliche war in dem Raum anwesend, dünn und mit gebeugten Schultern an seinem Schreibtisch sitzend. Doch Crystal würdigte ihn kaum eines Blickes. Ebenfalls zugegen wa- ren zwei erwachsene Unbekannte ... und ein Junge, et- wa in ihrem Alter.
    Er besaß die MACHT.
    Sie hätte nie gedacht, daß sie so stark sein könnte.
    Und auch nicht, daß außer ihr noch jemand sie besit- zen könnte.
    Während der Dauer von fünf beschleunigten Herz- schlägen war sie gleichzeitig entsetzt und enttäuscht: das erstere, weil sie das Gefühl hatte, etwas ganz Inti- mes von ihr selbst sei wie zu einer Versteigerung öffent- lich zu Markte getragen worden, um von gierigen, auf- dringlichen Händen begrapscht zu werden; das letztere,
weil sie sich gewünscht hätte, wenn eine derartige Be- gegnung schon stattfinden mußte, daß sie selbst dann wenigstens in Bestform gewesen wäre, damit es zu einem
gerechten Wettstreit zwischen Gleichen kommen könnte.
    Und dann merkte sie, daß das sowieso immer un- möglich gewesen wäre.
    Nein, mehr als unmöglich. Unnötig.
    Denn er stand auf ihrer Seite ...
    Sie rang nach Luft und schwankte nach vorn; dann
wurde sie ohnmächtig.
    Obwohl sie rasch wieder zur Besinnung gebracht wur- de, blieben ihr nur Fragmente dessen, was danach in sie einsickerte, in Erinnerung. Sie

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