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Kinder des Donners

Kinder des Donners

Titel: Kinder des Donners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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er folgte, doch den Unter- schied zwischen dieser Umgebung und dem frostig-kah- len Gebäude, das sie verlassen hatte, genießend. Sie wartete, bis David fertig war, dann wagte sie die schüchterne Frage: »Wie hast du mich gefunden?«
    »Über den NPC natürlich«, seufzte er. Und fügte grausamerweise hinzu: »In Anbetracht der Tatsache, daß du wegen Verbreitung von Syphilis im Gefängnis warst, vielleicht keine ganz so gute Idee.«
    Sofort brach sie wieder in Tränen aus. Niemand hatte seit dem Tod ihrer Eltern mit solcher Autorität mit ihr gesprochen. Ihre Tante und ihr Onkel waren schroffer
gewesen, doch sie hatte ihnen keinen Respekt entge- gengebracht. Dieser Junge jedoch, gleich von Anfang an ...
    Sie brachte mühsam hervor: »Das war meine einzige Hoffnung!«
    »Die alten Böcke fertigzumachen?« — mit beißender Ironie.
    »Nein, zu überleben!«
    Es entstand eine Pause.
    Unterdessen war vorn Mr. Shay weiterhin mit dem
Fahren beschäftigt, und Mrs. Shay tat nach wie vor so, als wäre ihr alles, was geschah, vollkommen gleichgül- tig. Es war eine Tatsache. Crystal wußte es, sie war nicht
    auf Vermutungen angewiesen. Ihre Periode neigte sich dem Ende zu, und ihre Begabung — ihre Macht — stell- te sich nach und nach wieder ein.
    Obwohl sie nicht erwarten durfte, daß sie Davids Ni- veau jemals erreichen würde.
    Endlich streckte David den Arm zu ihr herüber und tätschelte ihr unter Seufzen die Hand, wenn auch nur ganz kurz.
    »Willkommen, Schwester«, sagte er kaum hörbar.
    »Was sagst du da?« Sie richtete sich kerzengerade auf.
    »Du hast wohl gedacht, du bist die einzige?«
    »Ich verstehe nicht!«
    Anscheinend ignorierte er ihre Worte und fuhr fort: »Das habe ich lange Zeit auch gedacht, und genauso war es bei ... vergiß es! Du wirst sie bald kennenlernen. Ich wünschte nur, du hättest den Scheißern nicht den biologischen Krieg erklärt und dich selbst in Gefahr ge- bracht ...«
    »Das hab' ich nicht!« Crystal schrie es beinah.
    Er sah ihr mit dunklen, eindringlichen Augen for- schend ins Gesicht, während sie sich mit aller Kraft be- mühte, ihn glauben zu machen, was sie gesagt hatte.
    Und sie siegte. Vielleicht war ihre Magie schon soweit zurückgekehrt. Denn er entspannte das Gesicht zu ei- nem Lächeln.
    Doch was er dann sagte, war nicht das, was sie er- wartet hatte ...
    »Ach was, zum Teufel. Wir konnten ja nicht alle Glück haben, nehme ich an. Statistisch gesehen mußte mindestens eine darunter sein, die auf den Strich ging
und sich nicht um Krankheiten scherte ...«
    »Aber so ist es doch nicht!« fuhr sie auf. »Ich habe
mein AIDS-Zertifikat! Und ich habe eine Stange Geld
für Schutzimpfungen ausgegeben!«
    Er sah sie mit einem strengen, düsteren Blick an.
    »Und in deinem Denken war nur Platz für eine einzi-
    ge Krankheit? Hast du vergessen, daß es Syphilis gibt
und Gonorrhoe und Weicher Schanker und allerlei Vi- ren und Pilze, die du hättest übertragen können und sehr wahrscheinlich auch hast?«
    Crystal weinte. Sie wußte nicht genau, warum, aber vielleicht lag es daran, daß dieser fremde Junge sich viel mehr wie ihr Vater anhörte als ihr Onkel, der sie wider- willig bei sich aufgenommen hatte. Mit großer Anstren- gung brachte sie heraus: »Was, zum Teufel, hätte ich
denn sonst tun sollen, um am Leben zu bleiben?«
    »Zum ersten Mal«, sagte David Shay und hörte sich merkwürdig erwachsen an — es hätte einem der Begriff
patriarchalisch dazu einfallen können —, als er die Wor- te aussprach: »Hast du wirklich die Chance zu leben. Und das gleiche gilt für ... Nein, das hat Zeit. Du wirst
es in Kürze erfahren.«
    Der Wagen glitt über eine vielspurige Autobahn und
fegte kleinere Fahrzeuge zur Seite wie ein Schnellboot, das Ruderboote verscheucht.
    »Wir werden uns vollends miteinander bekannt ma- chen, wenn du geheilt bist«, fuhr David schließlich fort.
»In der Zwischenzeit scheint mein Suchprogramm noch jemanden von unseren Geschwistern ausfindig gemacht zu haben.«
    Was?
    Doch sie bat ihn nicht um eine in Einzelheiten gehen- de Erklärung. Seine Macht... O Gott! Sie hätte nie ver-
mutet, daß die Magie so stark sein könnte!. Überzeu- gend, ja — überredend, ja! Aber nicht stark.
    Und doch ...
    Zum ersten Mal seit Monaten setzte sie sich mit der Tatsache, die sie so lange Zeit und so oft in die hinterste Ecke ihres Denkens verbannt hatte, auseinander, daß zwischen ihr und den anderen Menschen ein Unter- schied bestand. Manchmal hatte ihr ihre

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