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Kinder des Donners

Kinder des Donners

Titel: Kinder des Donners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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war, machte sich beherrschend in seinem Denken breit: Die amerikanischen Besatzungstruppen in Lybien ... Es deutete alles darauf hin, daß dies hier et- was mit dem Kriegsgeschehen zu tun hatte!
Terry war nahe daran zu schreien, als ihn jemand an
der Hand packte und in den mutterleibartigen Wagen zog.
    »Sie sehen also, Mr. Owens — Mrs. Owens —, daß es keine echte Alternative gibt, nicht wahr?«
    Wo bin ich? Was geht hier vor? Benommen, als ob er sich in dem Flußnebel, der die Straßen draußen einhüll- te, verirrt hätte, bemühte sich Terry, seine Geistesge- genwart wiederzuerlangen. Er befand sich im Wohn- zimmer seiner Eltern; der erste Anhaltspunkt, der ihm Aufschluß gab, bevor es ihm gelang, die Augen zu öff- nen, war der Geruch nach zu lange durchgezogenem Tee, den seine Mutter stets automatisch anbot. Als er sich umsah, bemerkte er, daß diese wertvolle Flüssigkeit in mehreren Tassen kalt wurde und an der Oberfläche
Haut ansetzte. Was für eine schändliche Verschwen- dung, da Tee doch so viel kostete, ein ausgesprochener
Luxusartikel war und demnächst — so hörte man sagen
    —rationiert werden sollte, gleichzeitig mit anderen Gü- tern aus dem Orient, wie zum Beispiel Reis.
    Doch das war in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit. Terry ging im Hier und Jetzt vor Anker, und er
fand einen Jungen vor, ungefähr in seinem Alter, der sich mit seinen Eltern unterhielt und dabei von einem
    unglaublich gutgekleideten Ehepaar (auf dem zweisitzi- gen Sofa in der Nähe des Fensters) unterstützt wurde, beide in einem Maße sonnengebräunt, wie es selbst Rio niemals erreichen würde, auch wenn er die besten Selbstbräunungscremes verwendete ... Plötzlich däm- merte es ihm: Das mußten die Besitzer des Rollers sein!
    Ich sitze in der Falle. Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte. Ich kann nur denjenigen bewundern, der das geschafft hat!
    Er hörte wieder zu. Der Junge sagte gerade:
    »Eines steht fest: Wenn bekannt würde, daß ein junge im Alter Ihres Terry das geistige Oberhaupt einer Er- presserbande ist, dann wären die Folgen fürchterlich. Ihre Kompetenz als Eltern würde in Frage gestellt, das wäre das erste. Unsere gegenwärtige Regierung, wie Sie selbst sehr gut wissen« — wie unbewußt strich er über das rot-weiß-blaue Band, das er am Revers trug — »legt großen Wert auf elterliche Verantwortlichkeit, wenn sie auch weniger privilegierten Bürgern mit gewisser Nach- sicht entgegenkommt...«
    Seine Eltern nickten, und doch — nein! Denn sie ver- standen die polizeiartige Verschlüsselung: Es ist vollkom- men in Ordnung, daß Leute wie wir Fenster einschlagen, Scheiße durch Briefkastenschlitze schieben und Kinder im Bett verbrennen, aber sobald die Schweine von Niggern und
Reisfressern zurückschlagen, dann kommen die Bullen wie ein Erdrutsch — und dann gnade ihnen Gott!
    Das war Terrys Sprache, mit der er aufgewachsen war. Er nickte in heftiger Zustimmung.
    Doch ihm war gleichzeitig bewußt, daß irgend etwas total falsch war. Die Luft in diesem Raum — und es war' nicht der Geruch nach zu stark durchgezogenem Tee ...
    Irgendwie nicht gut. Er konnte nicht dahinterkom- men. Er konnte sich nur zurücklehnen und weiterhin nicken.
    »Also, zum Nutzen Ihrer Nachbarn, Ladenbesitzer wie Sie selbst, wie zum Beispiel der Zeitungshändler
    Mr. Lal und Mr. Lee in der Imbißbude, die der Gemein- schaft einen so wertvollen Dienst erweisen ...«
    Moment mal!
    Das waren doch genau die Leute, die Terry mit Hilfe von Barney und Taff und Rio mit so großer Anstrengung zur richtigen Denkungsart hatte zwingen wollen! Er verspürte den Drang, aufzuspringen und zu brüllen.
    Und merkte, daß er es nicht konnte.
    Mit dem süßesten Lächeln nahm der fremde Junge (zu irgendeinem Zeitpunkt hatte Terry zur Kenntnis ge- nommen, daß man ihn David nannte) seinen Arm. Er sagte: »Oh, hab' doch nicht soviel Angst! Komm mit — der Wagen wartet draußen!«
    Ich ? Angst haben ? Die ausgeflipptesten Typen aus meinem Viertel fressen mir seit dem Jahre Null aus der Hand!
    Und doch hatte er Angst. Er zitterte von Kopf bis Fuß. Er weinte und fürchtete, er könnte sich vielleicht — ja — in die Hose machen!
    Wie? Warum?
    Aber was das Weinen anging, so sah er, als er einen letzten Blick über die Schulter zurückwarf, daß seine beiden Eltern ebenfalls in Tränen aufgelöst waren.
    Und doch lachten sie gleichzeitig. Lachten vor purer Erleichterung!
    Zum ersten Mal kam ihm die Frage in den Sinn:
    Wer bin ich ?

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