Kinder des Donners
sehr Ekelhaftes.«
»Ja, hört sich schrecklich an. Ich habe nachgeschla-
gen. Der medizinische Name dafür ist Anisakiasis, und man bekommt es vom Verzehr von rohem Fleisch.«
»Oder minderwertigem Fisch, der nicht richtig zube- reitet wurde.«
»Das stand da auch.«
»Muß sie operiert werden?«
»Ich glaube nicht. Man hat ihr Vermifuga verabreicht — ist das richtig?«
»Ja, ganz richtig. Wurmtreibende Mittel. Aber muß sie lang im Krankenhaus bleiben?«
»Mindestens eine Woche, hat sie gesagt. Ich meine, nicht direkt gesagt. Sie hat nicht angerufen, sondern nur eine Nachricht per Bildschirmpost hinterlassen.«
»Dann schicke ich ihr morgen früh am besten eine Genesungskarte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ein Bildschirmpost-Terminal neben dem Bett hat.«
Ein schwaches Wimmern kam von der Katze, als sie sich zu ihr umdrehten, sahen sie, wie sie versuchte, auf- zustehen und in Richtung Tür zu gehen.
»Vermutlich sollte ich sie hinaus lassen«, sagte Ellen nach einem Moment. »Ich hoffe, sie läuft nicht weg ...«
Das tat sie nicht, sondern kam dankbar zurück ins Warme und Trockene. Und genau in der Sekunde, als sie wieder ins Haus kam, klingelte das Telefon.
»Bernie hier. Kann ich mal vorbeikommen? Ich hab' was zu besprechen.«
Wie könnte ich nein sagen?
Doch was Peter eigentlich hauptsächlich hätte sagen
wollen — doch er fand nicht die passenden Worte —, war folgendes, und zwar zu Ellen: Ja, meine arme Kleine! Wir haben dir eine ziemlich kaputte Welt beschert, das kann man wohl sagen. Ich selbst habe noch die Generation vor mir
beneidet, die alle Freuden einer aufgeschlossenen Gesellschaft genießen konnte; damals war es noch möglich, sich den Trip- per zu fangen und ihn wieder loszuwerden, oder sogar die Sy- philis, und fröhlich weiterzubumsen. Dann kam AIDS ... und jetzt dieses Weltuntergangsgefühl. Falls nun diese tibeti- schen Terroristen tatsächlich eine Ladung Atommüll geklaut haben ? Es ist zwar dementiert worden, doch wer glaubt schon noch einer Regierung? Wenn irgendein verrückter Diktator in
der Dritten Welt Atomwaffen in die Hand bekommt — man spricht ständig von Indien und Pakistan und den Malaysiern, ganz zu schweigen von den Südamerikanern; wenn es wahr ist, daß die Ozonschicht immer mehr zerstört wird, und ich habe den Verdacht, daß es wahr ist; oder wenn das Sterben der Regenwälder im Amazonasgebiet wirklich bedeutet, daß der Sauerstoff knapp wird; oder wenn das Gift, das wir mit der Nahrung aufnehmen, wirklich unsere Lebenserwartung redu- ziert; oder wenn die gezüchteten Bakterien, die wir auf die
Umwelt loslassen, so fragwürdig wie unsere Computerpro- gramme sind, von denen gerade wieder mal eins zusammenge-
brochen ist und eine der größten Banken Japans in den Ruin
getrieben hat; oder wenn unsere Verschwendung fossilen Roh- öls tatsächlich die Gletscher zum Schmelzen bringt... dann
können wir zu unseren Kindern nur noch sagen: »Tut uns schrecklich leid!«
Und das wird ihnen dann sehr helfen 1 .
Während Ellen sich emsig am Herd zu schaffen machte, sagte er nachdenklich: »Weißt du, einmal habe
ich eine Geschichte gelesen über eine Mutter, die ihre Tochter davon heilte, ständig Unordnung zu machen. Das Mädchen war ungeschickt und stieß dauernd alles mögliche um, und dann dachte sie, es genügte, wenn sie sagte: >Tut mir leid!<«
Ellen drehte sich um und sah ihn mit großen, fragen-
den Augen an. Plötzlich erschien es Peter sehr wichtig, die Geschichte zu Ende zu erzählen und ihre Botschaft
zu vermitteln.
»Eines Tages nun, als sie eine Kanne Milch umge- kippt und alles über den Tisch und auf den Boden ver- gossen hatte, reichte ihr ihre Mutter ein Küchenhand- tuch — das sie ihr wie einen Turban um den Kopf band — und einen Stab. Dann sagte sie zu ihr: >Jetzt bist du eine Zauberin und hältst einen Zauberstab in der Hand. Schwenke ihn über der Milch hin und her und sprich die magischen Worte. >Tut mir leid!< Und natürlich ...«
»Natürlich war die Sauerei immer noch da«, sagte El- len ungerührt. »Na und?«
»Diese Lehre würde ich gern allen Politikern und Ökonomen und Industriellen und ... allen großkotzigen
Wichsern erteilen! Denn es reicht nicht, daß wir zu un- seren Kindern sagen >tut uns leid< und ihnen dann die Sauerei zum Wegräumen hinterlassen.«
»Mach dir keine Sorgen«, entgegnete sie, während sie üppige Berge duftender gebratener Zwiebeln auf die Teller häufte, die gegrillte Leber zufügte, das
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