Kinder des Donners
drin sprach mit ihm. Hab' ich dir doch gesagt!«
»Und...«
»Heute ist er nicht da.«
»Wir sehen uns am besten mal bei ihm um.«
Rios Zuhause lag in einem sanierten, doch immer noch
ekelhaft vergammelten Hochhausblock. Nachdem seine Mutter vor einem oder zwei Jahren weggelaufen war,
lebte sein Vater mit einer jüngeren Frau zusammen, hübsch, aber dumm. Trotz Terrys äußerster Bemühun- gen blieb das Paar unzugänglich. Das einzige, das sie zu
sagen bereit waren, war, daß der Junge nach Süden ge-
gangen war — vielleicht nach London.
Während sie auf den Lift warteten, nachdem sie die Wohnung verlassen hatten, wurde Terry bewußt, daß ihn seine >Kumpels< auf eine neue Art ansahen. Noch nie zuvor hatten sie so offenes Mißtrauen gezeigt.
Sein Selbstvertrauen schien sich zu verflüchtigen, und sie merkten es.
»Ich glaube, Rio hat es richtig gemacht«, sagte Taff, als der Lift kam. Während sie hineintraten, versuchte Terry mit einem erzwungenen Lachen eine Entgegnung.
»Glaubst du, er ist per Anhalter mit dem Roller ge-
fahren? Glaubst du, er läßt sich jetzt in der Park Lane aushalten?«
Normalerweise würde unter Jugendlichen, die Rot- Weiß-Blau zur Schau stellten, allein die Erwähnung des Ausgehaltenwerdens durch einen Homosexuellen so-
fortiges Aufbrausen zur Folge haben. Terry hatte sich auf diese Reaktion verlassen. Diesmal funktionierte es zu seinem Mißfallen aber nicht. Taff und Barney wech-
selten lediglich Blicke und zuckten gleichzeitig die Ach- seln. Terrys Herz sank in seine nostalgischen Schnür- stiefel.
Der Lift setzte sich in Bewegung, und er entspannte sich ein wenig. In einem begrenzten und von der Luft abgeschnittenen Raum — er wußte nicht warum — schien sein Magnetismus im allgemeinen am besten zu wirken. In einschmeichelndem Ton sagte er: »Ich hab' das nicht so gemeint, was ich vorhin über Rio gesagt ha-
be. Ich weiß genausogut wie ihr, daß er niemals in Lon- don auf den Strich gehen würde.«
Und er machte den Fehler, nach Taffs Hand zu grei- fen.
»Nein, das würde er niemals! Aber du würdest es schon, was?« fuhr Taff auf und stieß ihn mit dem Fuß gegen das rechte Schienbein; in diesem Moment kam der Lift unten an. Barney, der dankbar jede Gelegenheit
zu einer Rauferei wahrnahm, fügte noch einen Tritt sei-
nerseits hinzu, genau unter die Kniescheibe gezielt, und dann rannten die beiden zusammen in die neblige Dü- sternis davon.
»Wartet! Wartet! ...«
Aber es hatte keinen Sinn. Sie waren außer Hörweite, und niemand war in der Nähe außer einer müden Frau mittleren Alters, die eine halbvolle Einkaufstasche um- klammert hielt und Angst hatte, in den Lift einzustei-
gen, wenn sie ihn nicht für sich allein hatte.
Fluchend humpelte Terry an ihr vorbei in den
schmutziggrauen Abend. Der Himmel war wolkenver- hangen, die meisten Straßenlaternen waren wie üblich kaputt, und die einzige Reaktion auf sein Rufen von Taffs und Barneys Namen war Beunruhigung bei den Anwohnern, die mutig genug waren, noch nach Ein-
bruch der Dunkelheit im Freien zu sein.
Nein, nicht die einzige Reaktion.
Denn als er zum Ende der Straße humpelte und nach rechts und links spähte, um ein Zeichen von seinen Ka- meraden zu entdecken, auf die er sich so lange Zeit ver- lassen hatte, rauschte ein riesiger grauer Wagen lautlos aus dem Nebel heran und hielt an.
Eine der hinteren Türen wurde geöffnet. Eine Stimme sprach zu ihm — nur ein paar Silben: »Steig ein! Wir nehmen dich mit nach Hause.«
Doch das reichte, um ihm eine Menge alarmierender
Dinge zu verraten. Erstens waren die Worte mit ameri- kanischem Akzent gesprochen worden. Unter den
Schreckgespenstern, die Terry heimgesucht hatten, seit er das erstemal von dem geheimnisvollen Rolls-Royce gehört hatte, war die Sache mit der Verfolgung durch die USA-Mafia das harmloseste gewesen — doch in die- sem Moment, dank jahrelanger Vorbereitung durch amerikanische Filme im Fernsehen, die er angeblich so sehr verachtete, war er mürbe genug, daran zu glauben, und sich machtlos zu fühlen. Zweitens war die Stimme
die eines Jungen, der nicht viel älter als er selbst sein
konnte, aber sie versprach, ein autoritärer Bariton zu werden, wenn er erst erwachsen wäre, während Terrys
— wie ihm bewußt geworden war, nachdem er Ton-
bandaufnahmen seiner eigenen Stimme gehört hatte, die seine >Freunde< gemacht hatten — immer ein leich- ter Tenor bleiben würde.
Ein Satz, der ihm aus einer Nachrichtensendung hän-
gengeblieben
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