Kinder des Donners
wir?«
Er zögerte für einen Moment, denn in Wahrheit kannte er die Gegend nicht so gut, wie er behauptet hatte. Innerhalb kürzester Zeit schaltete jedoch ein Re- lais in seiner Erinnerung.
»Mögen Sie griechisches Essen?«
»Im Moment ist es mir verdammt egal, was ich esse, solang es für den Menschen zum Verzehr geeignet ist.
Das einzige, was ich während der letzten vierundzwan- zig Stunden bekommen habe, waren der Flugzeugfraß und ein Becher Müsli. Meine Gastgeberin mußte weg,
und als ich nachsah, was sie im Kühlschrank übrigge- lassen hatte, ...« Ein vielsagendes Schaudern.
Immer besser!
Doch als sie sich in Richtung des Restaurants, das Pe- ter im Sinn hatte, in Bewegung setzten, war er sich
durchaus im klaren darüber, daß er gut beraten wäre, beim nächsten Überqueren einer Straße den Arm dieser Dame nicht noch einmal zu berühren.
Als sie an ihrem Ziel ankamen, lag das Lokal jedoch im Dunkeln. Ein Schild an der Tür verriet, daß es von der
Gesundheitsbehörde geschlossen worden war. Eine Be- gründung war nicht angegeben, doch sie war leicht zu
erraten. Nachdem die Preise für Nahrungsmittel mit ei-
nem Kontaminations-Zertifikat in astronomische Hö- hen geklettert waren, wichen immer mehr Restaurants aus lauter Verzweiflung zu Lieferungen aus, die der of- fiziellen Prüfung entgangen waren und damit auch nicht der Mehrwertsteuer unterlagen, die inzwischen zwanzig Prozent betrug. Der Besitzer dieses Lokals hier mußte wohl zu den Pechvögeln gehört haben, die dabei erwischt wurden.
Ein wortloses Schnauben war Claudias Kommentar zu Peters >Sich-in-der-Gegend-Auskennen<. Er befürch- tete, sie könnte es sich doch noch anders überlegen und sich an das wagen, was der Kühlschrank ihrer Gastge-
berin eben hergab, und blickte sich in alle Richtungen
um, bis ihm das leuchtendrote Schild über einem indi- schen Restaurant, keine fünfzig Meter weit entfernt, ins Auge sprang. Es war zweifellos geöffnet, und zwar sehr wahrscheinlich in der ganzen Gegend als einziges, der Schlange von Lumpenbrüdern vor dem Straßenausga- befenster nach zu urteilen; jede Person hielt ihren Ta- gesbedarf-Gutschein im Wert von einem Pfund krampf-
haft in der Hand. Während er an ihnen vorbeiging, frag-
te er sich, was man heute noch für ein Pfund bekommen konnte — eine Handvoll Küchenabfälle, wenn man Glück hatte ...
»Wir könnten es dort versuchen«, schlug er zaghaft vor. Die Tatsache, daß die Leuchtreklame eingeschaltet war, deutete darauf hin, daß es teuer sein mußte, doch
sehr wahrscheinlich könnte er die Rechnung von der
Einkommensteuer absetzen.
»Okay«, seufzte Claudia und schlenderte weiter. Er
folgte ihr; ihm fiel es nicht so leicht wie ihr, das neidi- sche Gaffen der Armen der Stadt zu ertragen.
Letztendlich kam Peter zu dem Schluß, daß die Entschei- dung für die indische Küche in jedem Fall eine gute Wahl gewesen war. Je mehr Nahrungsmittel nach Mas- senproduktionsmethoden hergestellt wurden, desto we-
niger schmeckten sie nach irgend etwas. Gezüchteter Lachs zum Beispiel oder Schweinefleisch aus Intensiv- tierhaltung waren hoffnungslose Fälle, während das Brot... Doch hier sorgten wenigstens die Gewürze für Abwechslung, obwohl sie natürlich auch ihrem traditio- nellen Zweck dienen mochten: minderwertige Zutaten zu überdecken. Er schlug Lamm Biriyani und Gemüse- Curry vor und als passendes Getränk einen herben Rot- wein; dann hielt er sich zurück, bis nur noch ein Löffel- voll Reis und ein Klecks Sauce übrig waren, bevor er die Sprache wieder auf das Thema brachte, warum Claudia einen Studienaufenthalt in England verbrachte.
Während er ihr direkt ins Gesicht sah — und fast völ- lig aus dem Konzept geriet, als er zum erstenmal ent- deckte, daß die ungewöhnlich gefärbte Iris ihrer Augen, blau mit grünen strahlenförmigen Riefen, gar nicht ihre eigene war, sondern Implantate —, beschränkte er sich
auf ein einziges Wort. »Nun?«
Sie wußte genau, was er meinte. Sie hob ihr Glas, schwenkte es unter ihrer gerundeten Nasenspitze hin und her und sagte schließlich: »Na gut, wir wollen uns
über die Bedingungen unterhalten. Ich könnte mir vor- stellen, daß Sie einen Recorder dabeihaben.«
»Nein, ich habe tatsächlich keinen dabei. Natürlich besitze ich einen, und ich habe erwogen, ihn mitzubrin- gen, doch ich kam zu dem Schluß, daß ich, wenn Sie ihn entdecken würden, nicht mehr die geringste Hoffnung
hätte, Sie davon zu überzeugen, daß wir uns
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