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Kinder des Donners

Kinder des Donners

Titel: Kinder des Donners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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unglückliche Menschen, einige helle,
doch häßliche Schilder, die meisten Fahrzeuge stinkend und kurz vor dem Zusammenbrechen, weil es sich kaum noch jemand leisten konnte, die Reifen ordnungs- gemäß reparieren zu lassen, und neue inzwischen in
Großbritannien so rar waren, da es aus der japanischen Wirtschaftssphäre ausgeschlossen war ... Die Busse stanken am meisten und brachen am häufigsten zusam- men.
    (Die Reichen mieden natürlich Viertel wie dieses,
überzeugt davon, daß sie sich allein durchs Atmen mit AIDS infizieren würden. Anderswo, zum Beispiel im
Parlament, hatten sie es bei weitem nicht so wichtig da- mit, den Mund geschlossen zu halten.)
    Das normale Dröhnen des Verkehrs hatte sich soeben
    in ein Geheul verwandelt. Hier traten die Bullen in Ak- tion, und zwar mit besonderer Hast.
    Welches war ihr Anliegen? Offenbar ging es ihnen
nicht darum, das Lumpenpack einzusammeln, um die Zahl der Gefangennahmen in die Höhe zu treiben. Cry- stal schaltete das abgenudelte Band aus, von dem sie ih- re Seele hatte berieseln lassen, bis der nächste Kunde
auftauchen würde. Außer den Kopfhörern trug sie das, was am meisten dazu angetan war, ihre Freier anzuma- chen, denn das waren überwiegend mittelalterliche Knochen, deren größter Wunsch es war, ihre minderjäh- rige Tochter zu vögeln, und zwar in der Aufmachung, mit der sich ihre Freundinnen damals, als sie in diesem Alter gewesen waren, herausgeputzt hatten. Sie hatte ausreichend psychologischen Durchblick, um zu ahnen, daß dieser spezielle Drang hinter der verbissenen Diszi-
plin steckte, die ihr von ihrem Onkel auferlegt worden war, der sie nach dem Tod ihrer Eltern murrend bei sich aufgenommen hatte und dem sie schließlich weggelau- fen war: die ewigen kleinen Demütigungen, die heftigen
Prügel bei den kleinsten Vergehen und die letzte Belei- digung, indem er ihr den Umgang mit seinen eigenen Kindern verbot, weil sie buchstäblich ein Bastard sei! Ausgerechnet er unterstellte ihrer Mutter so etwas ...!
    Sie konnte sich nicht mehr sehr deutlich an ihre El- tern erinnern, denn sie waren gestorben, als sie fünf Jahre alt war — in der damaligen Meningitis-Epidemie, die (so behaupteten immer noch einige Leute) von ei- nem Forschungslabor ausgelöst worden war, doch hatte es nie Beweise, geschweige denn, Untersuchungen ge- geben —, doch sie war sicher, daß sie voller Liebe und Leidenschaft gewesen sein mußten, und sie wußte, daß
sie etwas gehabt hatten, was ihrer Tante und ihrem On- kel völlig fehlte: Sinn für Humor. Denn wenn es nicht so wäre, warum hätte dann ein Paar, dessen Namen Jem und Beryl waren, beschlossen, ihre Tochter Crystal zu nennen?
    Natürlich, die Folge war, daß die Leute sie mit Crissie ansprachen, was sie nicht ausstehen konnte. Aber im allgemeinen machten sie das nur einmal.
    In voller Sechzigerjahre-Staffage — Minikleid und hohe Lederstiefel, dazu falsche Wimpern und eine idiotisch aufgetürmte Perücke in der Farbe ihrer eigenen Haare
— stand sie an ihrem in harten Kämpfen errungenen Platz in einem Ladeneingang gegenüber von St. Pancras Station. Es war eine vorzügliche Stelle, besonders seit man das gewaltige Hotel im viktorianischen Stil auf der anderen Seite renoviert hatte. Nachdem der Hauptteil der Klientel — spät ankommende Bahnreisende und je- ne, deren Züge ohne Vorwarnung ausgefallen waren — der kleineren Hotels der Gegend ausgeblieben waren, waren sie ins Prostitutionsgeschäft eingestiegen. Ja,
wenn man es genau betrachtete, war es wirklich eine ganz vorzügliche Stelle, denn hier scherte sich niemand darum, wie alt jemand war, noch welchen Geschlechts. Hauptsache, man konnte ein AIDS-Impfzeugnis vor- weisen.
    Die Impfung kostete natürlich ein Vermögen. Es gab also einen blühenden Handel mit Fälschungen.
    Crystal war dreizehn Jahre alt, und sie scheute sich nicht, das ihren Freiern zu sagen. Manchmal gab sie sich sogar als zwölf aus, denn je jünger sie behauptete zu sein, desto geiler wurden die meisten von ihnen, und je schneller sie sie reinzog und auf Hochtouren brachte, desto schneller konnte sie sich dem nächsten zuwen- den. Zu den Bullen sagte sie natürlich immer voller Ent- rüstung, sie sei sechzehn — nach dem Gesetz die unter- ste Grenze ... und fügte dann hinzu: »einhalb« — mit einem entwaffnenden Kichern.
    Was werde ich machen, wenn ich wirklich einmal sechzehn sein sollte?
    In diesem Moment hatte sie jedoch ganz andere Sor-
    gen. Ein Polizeiwagen war

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