Kinder des Donners
fühlte — doch sie hatte keinerlei Anzei- chen eines Leidens gezeigt. Ihr Bruder blieb jedoch bei ihr zu Hause, um ihr Gesellschaft zu leisten, also ... Und sie machten sich auf den Weg: zwei Männer unter sich, wie Renato schmunzelnd bemerkte.
Irgend etwas Unfaßbares verriet GianMarco, daß er zum erstenmal in die Angelegenheiten der Erwachse- nen direkt miteinbezogen werden sollte. Er wartete auf- geregt darauf zu entdecken, um was es sich handeln mochte.
Sie blieben lang aus. Es war schon stockdunkle Nacht, als sie sich auf den Heimweg machten, und sie
wählten eine Strecke, die geringfügig von der üblichen
abwich. Zunächst war GianMarco verdutzt. Doch dann erkannte er nach und nach die Gegend, durch die sie fuhren. Sie befanden sich auf einem Land, das weder den Tessolaris noch einer befreundeten Familie gehörte.
Nachdem es am Ende des Zweiten Weltkriegs verlassen dagelegen hatte, war es von einer landwirtschaftlichen Kooperative übernommen worden. Es war fruchtbarer Boden — was man im trockenen Süden Italiens als fruchtbar bezeichnete —, und es befanden sich seit lan- gem bestehende Olivenhaine und Weingärten darauf. Folglich hatten die alteingesessenen Familien, deren Ländereien daran anschlossen, schon Unsummen in Gerichtsverfahren investiert, um zu erreichen, daß diese Leute, die sie als unrechtmäßige Landbesetzer erachte- ten, enteignet würden. Doch die Gerichte im fernen Rom hatten nach jahrelangem zähen Ringen erklärt,
daß sie keinen Rechtsanspruch hätten, und die einst- mals besitzlosen Bauern ermächtigt, reich zu werden, sich wie Besitzende zu gebärden und es ihren wohlha- benden Vorbildern nachzumachen.
So war es GianMarco beigebracht worden, in allen Einzelheiten und mit gehöriger Verbitterung. Ganz be- sonders sein Onkel Fabio war voller Verachtung für die Bestrebungen der Bauern. Einmal, als GianMarco sich die Frage erlaubt hatte, warum er mit vierzig immer noch Junggeselle sei, hatte er zugegeben, daß seine Fa-
milie, die Bonnis, den Anspruch auf das Land, das jetzt von der Kooperative bewirtschaftet wurde, verloren hatte, und wenn seine Schwester nicht eine so glückli- che Hand bei ihrer Heirat gehabt hätte, dann wäre er in- zwischen vollkommen verarmt. Wie die Dinge lagen, war er dank seiner Empfehlung, Constanza zur Be- handlung nach England zu schicken, im Hause der Tes- solaris ein gerngesehener Dauermitbewohner.
(Hinter dieser griffigen Geschichte steckte jedoch die Ahnung von etwas Dunklerem. GianMarco hatte gele-
gentlich mitangehört, wie Bedienstete sich darüber lu-
stig gemacht hatten, daß Fabio gewisse hübsche junge
Männer mit ins Haus brachte und sie schnellstens wie- der fallenließ, nachdem er sie mit Geschenken über- häuft hatte, ohne eine Gegenleistung zu erhalten ... Aber das war etwas, dessen Sinn er nicht begriff.)
Und neuerdings hatte es sich ergeben, daß aus irgend- einem Grund, der etwas mit Düngemitteln und ande- ren Chemikalien zu tun hatte, oder mit sonstigen mo- dernen Hilfsmitteln für Ackerbau und Viehzucht, zu de- nen Renato unter der Anleitung Fabios begeistert ge- griffen hatte, die Einkäufer aus Genua, deren Firma seit über einem halben Jahrhundert das Olivenöl der Tesso- larischen Gutsbetriebe zu einem überaus erfreulichen Preis gekauft hatten, in diesem Jahr der Kooperative mehr boten, mit der Begründung, daß ihr Produkt
besser in das gesundheitsbewußte Amerika als »aus
biologischem Anbau stammend« exportiert werden konnte.
Das war natürlich ein Affront, der nicht hingenom- men werden konnte.
Langsam dämmerte eine Ahnung in GianMarcos ver- schlafenem Geist, was sein Vater vorhatte, als der Wa- gen über einen holprigen Weg auf eine abgelegene Scheune zurumpelte. Das war der Ort, wo die Koopera- tive ihre Ölpresse und die Vorratsbehälter unterge- bracht hatte ...
Es mußte, so schätzte er, nach Mitternacht sein. Noch nie zuvor war ihm gestattet worden, so lange aufzublei- ben, nicht einmal in der toleranten Umgebung mediter-
raner Kultur. Er versuchte, die Zeit von seiner Arm- banduhr abzulesen, doch sein Vater hatte sämtliche Lichter am Wagen ausgeschaltet, und die Nacht war be- wölkt. Er kam zu dem Schluß:
Das hier war in der Tat Männersache!
Diese Erkenntnis ließ ihm einen Schauder über den Rücken laufen und holte ihn mit einem Ruck ins Wach- sein zurück.
»Du wartest hier!« sagte Renato knapp, als er den Wagen angehalten hatte und ausstieg. »Und vergiß nicht: Wenn irgend jemand dich
Weitere Kostenlose Bücher