Kinder des Donners
gleichen Kreislauf der Jahreszeiten;
sie hatten keinen Sinn für das Pressen von Öl, das Ver- kaufen von Trauben, das Ernten von Tomaten, das Trocknen von Mais. Nein, sie zogen das Gewühl und
die Geschäftigkeit der großen Städte vor: Mailand, Tu-
rin, Marghera. Die alten Traditionen des Mezzogiorno waren ihnen fremd geworden, als ob sie Fremde in der eigenen Heimat wären, und wenn die Ländereien in ih- ren Besitz übergingen, dann wäre ihre größte Sorge, wie schnell und für wieviel sie sie verkaufen könnten.
Dieses Gefühl hatte zumindest Renato, und laut und
heftig stimmte ihm Fabio bei und blinzelte Constanza
gelegentlich unbemerkt zu.
Nach und nach lernte GianMarco, seinerseits stolz auf seinen Vater zu sein. Als er acht oder neun Jahre alt war, fing er an zu begreifen, wie es in der Welt der Er- wachsenen zuging; als er zehn war, empfand er es als angenehme Selbstverständlichkeit — weil seine Familie schon seit so langer Zeit zu den Großgrundbesitzern ge- hörte —, daß der Gemeinderat niemals eine Entschei-
dung treffen würde, die den Interessen der Tessolaris entgegenstünde. Renato war natürlich selbst Gemein- derat, und er war auch schon mal Bürgermeister gewe- sen. Das gleiche galt für seinen Vater, seinen Großvater und zahlreiche seiner Onkel. Und der Einfluß der Fami- lie dehnte sich schließlich bis auf Provinzebene aus und sogar bis nach Rom. Darüber hinaus gab es noch einige andere Dinge, auf die er stolz sein durfte, wie man ihm versicherte. Bei dem herrschaftlichen Landhaus, in dem er aufgewachsen war, mochte zwar der Stuck von der Fassade stellenweise abgebröckelt sein — doch es hatte einst als Unterschlupf für einen von Garibaldis Gesand- ten, der in geheimer Mission unterwegs war, gedient. Der Wagenpark seiner Eltern bestand zwar aus gängi- gen Fiat-Typen und nicht etwa aus aufsehenerregenden Ferraris — doch sein Ur-Urgroßvater Ruggiero war der erste in der ganzen Region gewesen, der überhaupt ein
Auto besaß, und mannigfaltig waren die Anekdoten darüber, wie die Bauern entsetzt waren, als eine Kut- sche über die Straßen rollte, die nicht von Pferden gezo- gen wurde.
Dennoch fragte er Renato manchmal, warum die Fa- milie eigentlich nicht mehr so außergewöhnlich reich
war, wie sie es zu Zeiten des alten Ruggiero gewesen sein mußte, und jedesmal erhielt er die gleiche Unter- weisung über die wahre Natur des Reichtums. »Ange- nommen«, pflegte sein Vater dann in schulmeisterhaf- tem Ton zu erklären, »es käme wieder mal eine Wirt- schaftskrise. Das Geld hätte keinen Wert mehr, wie es
schon so oft in der Vergangenheit geschehen ist. Dann könntest du erleben, wie unsere >wohlhabenden< Ver- wandten bei uns angekrochen kämen und um Hilfe flehten — bei uns, die wir Nahrungsmittel anbauen können. Das ist die vortrefflichste Quelle allen Reich-
tums: das Land. Ich werde nicht ewig da sein, weißt du. Doch ich werde dir das beste Vermögen hinterlassen, das man sich nur wünschen kann. So, jetzt komm mit! Wir müssen einen Besuch machen bei ...« — und dann nannte er den Namen eines Pachtbauern, der vielleicht seinen Pflichten in letzter Zeit nicht ordentlich nachge- kommen oder in dessen Familie jemand krank gewor- den war und der deshalb ein Darlehen brauchte, um den Arzt bezahlen zu können.
Seinen Pächtern gegenüber benahm sich Renato wie im Umgang mit seinem Sohn: streng oder leutselig, je
nachdem, wie es die Situation erforderte. Als der Junge zwölf Jahre alt war und damit in einem Alter, um in die Geschäfte miteinbezogen zu werden (überdies war er auch körperlich zum Manne herangereift), wurde ihm
gestattet, in einer Ecke sitzend den Unterredungen bei- zuwohnen, die sein Vater mit seinen Verwaltern führte, und zuzuhören, wie dieser seine Urteile fällte: Dieser Mann war wertlos und mußte weggeschickt werden, doch jener andere, der an sich noch weniger taugte, hat- te schließlich letztes Jahr seine Frau verloren und noch keine neue gefunden, also mußte man mit ihm Nach- sicht üben ...
GianMarco lauschte mit stolz geschwellter Brust und
fieberte der Zeit entgegen, wenn er seinem Vater bei so wichtigen Angelegenheiten zur Seite stehen könnte.
Diese Gelegenheit ergab sich früher, als er erwartet
hatte.
Eines Tages im Herbst desselben Jahres, als die Ernte
in vollem Gange war, fuhr Renato mit ihm in eine fünf- zig Kilometer entfernte Stadt, um Verwandte zu besu- chen. Seine Mutter fuhr nicht mit, angeblich, weil sie sich nicht wohl
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