Kinder des Donners
fragen sollte — ich sage nicht, wer, merkst du das? Aber wenn irgend jemand dich fragen sollte — wir sind von Anna direkt nach Hause gefahren. Hast du verstanden?«
»Ja«, hauchte GianMarco und starrte mit brennenden Augen seinem Vater nach, während dessen verschwom- mener Schatten in der Dunkelheit, der die Scheune ein- hüllte, verschwand.
Zwei Männer begrüßten ihn — GianMarco hörte ihre Stimmen —, und dann war nur noch geheimnisvolle
Finsternis.
Zitternd, in der Erwartung von etwas, ohne zu wis-
sen, was, außer daß ihm seine Phantasie ständig Bilder
vorgaukelte von einem geöffneten Ventil unten an ei- nem riesigen Bottich voller Öl (würde man es in Brand stecken oder einfach nur auslaufen lassen? Er nahm das letztere an, doch das war nur eine Vermutung), saß GianMarco fünf oder sieben Minuten lang allein im Wa-
gen.
Dann hörte er einen Schuß.
Und einen Schrei.
Und aufgeregt rennende Schritte.
Und sein Vater saß wieder neben ihm, ließ den Motor an, setzte den Wagen zurück, brachte ihn holpernd wie- der auf den Weg, und während der ganzen Zeit fluchte er in einer Sprache, von der GianMarco angenommen
hätte, daß sie niemals über seine Lippen kommen wür-
de. Aus diesem Schwall von Unflätigkeiten hörte der Junge heraus, daß die stinkenden Bauern so beeindruckt waren von dem hohen Preis, den ihr Öl in diesem Jahr
erzielen würde, daß sie einen Wachtdienst aus Mitglie-
dern der Kooperative eingerichtet hatten; die Männer blieben in wechselnden Schichten Tag und Nacht in der Scheune und hüteten ihren Schatz.
Der Wachhabende in dieser Nacht war so töricht, auf- merksam zu werden und einzugreifen.
GianMarco versuchte, sich die blutige Masse, die ein Gewehr bei einem Schuß aus nächster Nähe aus einem menschlichen Körper machen würde, nicht vorzustel- len.
»Vergiß nicht«, ermahnte ihn sein Vater noch einmal beharrlich, während der Wagen mit wildem Gehoppel auf die Schotterstraße zuraste, »wir sind heute abend auf direktem Weg nach Hause gefahren. Von Anna di-
rekt nach Hause!«
»Jawohl, Vater«, sagte GianMarco gefaßt. Denn schließlich, was machte ein störrischer Bauerntölpel
mehr oder weniger denn schon aus?
Gleich nach ihrer Ankunft zu Hause wurde er zu Bett
geschickt, doch lange Zeit war er viel zu aufgeregt, um
einschlafen zu können. Sein Zimmer lag über dem Flur, in dem sich der Haupttelefonanschluß befand; er lauschte angestrengt und konnte hören, wie Renato mit Anna sprach. Er gab ihr Anweisungen, daß er und GianMarco zwanzig Minuten später von ihrem Haus abgefahren seien, als es in Wirklichkeit der Fall gewesen war.
Das war, als ob man in einem Gangsterfilm mitspielte.
Dann ging seine Mutter nach unten — vielleicht auf- geweckt durch das unvermeidliche Klicken des Neben- anschlußes in ihrem Schlafzimmer — und witterte so-
fort, daß etwas Unangenehmes in der Luft lag. Renato versuchte sie davon zu überzeugen, daß er Anna nur angerufen habe, um ihr mitzuteilen, daß sie gut zu Hau- se angekommen waren, doch sie glaubte ihm kein Wort. Innerhalb weniger Minuten hatte sie die Wahrheit ent- weder aus ihm herausgequetscht oder erraten. Danach brauchte er nicht mehr angestrengt zu lauschen, denn es brach ein Streit in voller Lautstärke aus. Davon wur-
de auch Fabio wach, der ebenfalls erschien und mit ge- ringem Erfolg versuchte, besänftigend und zur ge-
dämpften Lautstärke mahnend einzugreifen.
»Unser einziger Sohn!« kreischte Constanza immer wieder. »Ein zwölfjähriger Junge! Und du setzt sein Le- ben aufs Spiel! Wenn dort nun mehr als nur ein Wacht- posten aufgestellt gewesen wäre? Angenommen, sie wären bewaffnet gewesen und hätten zurückgeschos- sen?«
»Aber es war nur einer, und er hat nicht zurückge- schossen!« fauchte Renato. »Willst du jetzt endlich den Mund halten und wieder ins Bett gehen? Ich muß noch
weitere Anrufe tätigen — wichtige Anrufe.«
Schließlich ließ sich Constanza von Fabio wegführen. Inzwischen hatte sie angefangen zu weinen. Als er ihr Schluchzen hörte, wurde sich GianMarco zum ersten-
mal so richtig des Ernstes der Lage bewußt. Es war auf
jemanden geschossen worden, und vielleicht war er ge-
tötet worden, und zwar von einem der Leute seines Va-
ters, die auf seinen Befehl hin und in seinem Beisein in die Scheune der Kooperative eingedrungen waren. Zu Zeiten Ruggieros wäre es sicher einfach gewesen, die
Sache zu vertuschen. Doch heutzutage, auch wenn Re- nato dem Gemeinderat
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