Kinder des Donners
Blick von ihr abwandte
und sich statt dessen zwang, das Eis, das in seinem Glas schmolz, zu beobachten, sagte er jedoch lediglich: »Na
ja, es ist ja inzwischen bekannt, daß es eine chemische Basis für Schizophrenie gibt...«
Sie wischte seine Worte mit einer ungeduldigen Geste
beiseite. »Fliegende Untertasse ist gleich Wetterballon!
Nehmen Sie es als gegeben an, daß ich alle herkömmli- chen Formen geistiger Störung in Betracht gezogen ha- be und ausschließen konnte.«
»Dann handelt es sich vielleicht um Schädigungen
aufgrund einer vergifteten Umwelt. Nehmen wir nur als
Beispiel eine extreme Unverträglichkeit bezüglich der gesetzlich zugelassenen Farbstoffe in Nahrungsmit- teln.«
»Es findet sich über derartige Reaktionen genügend
in der vorhandenen Literatur, um es ebenfalls auszu- schließen. Sie klammern sich an die gleichen Strohhal- me, an die ich mich geklammert habe — Fliegende Un-
tertasse ist gleich Venus oder Jupiter! Was ich, nebenbei bemerkt, niemals akzeptiert habe ... Nein, ich meine es vollkommen ernst, obwohl es mir anders lieber wäre. Und bevor Sie mich danach fragen: Ich habe auch die Parallele in Betracht gezogen, daß ich im Glauben an die einzigartige Schlechtigkeit der Nazis erzogen worden
bin, aber später genug Einblick in die Geschichte be- kam, um zu einer ausgewogeneren Ansicht zu gelan- gen. Noch weitere Ideen?«
Peter zögerte lange, bevor er wieder sprach. Schließ-
lich sagte er gedehnt: »Also ... es gab da mal ein Buch
mit dem Titel Saat des Bösen oder so — damals, wann war es ... in den fünfziger Jahren?«
»Sie kennen es!« Claudia wäre fast von der Couch
aufgesprungen. »Ich hatte die Hoffnung mehr oder we- niger aufgegeben, einen Menschen zu treffen, der es au-
ßer mir gelesen hat. Sie haben es gelesen? Und Sie erin- nern sich daran?«
»Oh, das ist lange her. Es ging, glaube ich, um irgend- welche halbwüchsigen Mädchen, die die abscheulich- sten Verbrechen begingen und so eine Art Tagebuch dar- über führten, halb Wahrheit, halb Dichtung ... verfol- gen Sie etwas in dieser Art?«
»Ungefähr.« Sie nippte an ihrem Drink, ohne ihn an- zusehen. »Ich war vollkommen davon überzeugt, wis- sen Sie, daß ich auf die grundlegende Erklärung für die-
se Erscheinung gestoßen war — die Feindseligkeit der jüngeren Generation gegenüber der Gesellschaft. Die Kernfamilie ist ja nicht direkt eine Einrichtung aus dem Altertum, wissen Sie.«
»Darauf haben Sie in Ihrem Buch hingewiesen«, ent-
gegnete Peter trocken. »Sie haben dargelegt, wie sie im Europa des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts
entstand und nach der Industriellen Revolution zur Norm erhoben wurde. Sie behaupteten, sie sei für die damalige Epoche die passende Übergangslösung gewe- sen, doch in der modernen Zeit brauchten wir eine Form, die mehr gemein hat mit dem System des Stam- mes, aus dem wir uns entwickelt haben und in dem je- des Kind zehn oder zwanzig Erwachsene als Bezugsper- sonen hat, Verwandte oder nicht, die genauso für es da sind wie seine Eltern. Sie sagten, in der Tradition der Patenschaft sei etwas davon überliefert.«
»Und was halten Sie von meiner Argumentation?«
»Ich habe gewisse Vorbehalte, aber Sie haben sie überzeugend dokumentiert.«
Claudia war damit zufrieden. Nachdem sie noch ein- mal einen Schluck genommen hatte, fuhr sie fort: »Wis- sen Sie, was mir die miesen Fundas vorwerfen? Sie be- haupten, ich befürworte die Gruppenehe, das heißt Pro- miskuität, was dem Wort des Herrn widerspräche ... Sie sehen gar nicht überrascht aus!«
»Im Zusammenhang mit den Fundamentalisten über- rascht mich nichts mehr«, antwortete Peter murrend, und endlich genehmigte auch er sich einen zweiten Drink. Seine Taktik bestand darin, Claudias Zunge zu
lockern, während er vergleichsweise nüchtern bleiben wollte. Bis jetzt schien es zu funktionieren, doch er hoff- te, sie würde endlich zum eigentlichen Punkt kommen.
»Wenn sie mal die Bibel lesen würden, anstatt sie nur zu zitieren — schon wieder: Verzeihung! Ich will mich nicht in der Theologie verlieren ... ich bin immer noch der Meinung, daß ich einen sehr wesentlichen Punkt ge- troffen habe, mißverstehen Sie mich bitte nicht. Doch ich war so naiv anzunehmen, daß das die ganze Wahr- heit sei, die perfekte Lösung. Und andererseits bin ich
Wissenschaftlerin genug, um zu wissen, daß eine einzi- ge Ausnahme eine ganze Theorie in Frage stellt. Stimmt's?«
Wie es offenbar von ihm erwartet wurde, nickte
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