Kinder des Donners
Peter feierlich.
»Stimmt! Nun, eine Zeitlang erhielt mein Selbstbe- wußtsein Auftrieb durch die vielen Briefe verzweifelter Eltern, meistens Frauen, aber auch einer ganzen Anzahl
von Männern, die besagten, daß sie jetzt Einblick be- kommen hätten in die Gründe, warum Billy drogen-
süchtig war und Nelly auf den Strich ging und Sammy im Gefängnis saß und ... Sie können sich ein Bild ma- chen, ja?
Und dann« — mit neuentfachter Aufgebrachtheit —
»erhielt ich aus heiterem Himmel einen Brief ganz ande- rer Art. Zum einen stammte er nicht von einem Eltern- teil, sondern von einer ehemaligen Sozialarbeiterin, die mein Buch offenbar sehr aufmerksam gelesen hatte und mir einen Fall, der meiner Theorie widersprach, so ver- nünftig und fundiert schilderte, wie es noch nie vorge- kommen war.« Ein kurzes Auflachen. »Manchmal wünschte ich, ich hätte den Brief nie erhalten, wissen Sie!«
»Was stand darin?«
»Abgesehen von einigen Gesichtspunkten, die andere
Leute auch schon angesprochen hatten — nur nicht so eingängig —, berichtete sie, daß sie gerade am Ende ih-
rer vierzigjährigen Berufslaufbahn auf einen Fall gesto- ßen sei, der in keine der bestehenden Theorien paßte, auch in meine nicht, mit Ausnahme in die Vorstellung
einer angeborenen Schlechtigkeit.«
»Das haben Sie ernst genommen?«
»Nun, ich hatte außer den zustimmenden Briefen auch eine ganze Menge gehässige Post bekommen, so daß ich im ersten Moment geneigt war, das Schreiben wegzuwerfen. Doch, wie gesagt, es steckte so viel Ver- nünftiges darin, daß ich es nicht einfach aus meinem Sinn verdrängen konnte.«
»Haben Sie mit der Schreiberin Kontakt aufgenom- men?«
»Das habe ich versucht. Leider war sie inzwischen verstorben. Frühzeitig — sie war nur fünfundsechzig
Jahre alt geworden. Trotzdem, was sie gesagt hatte,
nagte weiter an mir. Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten. Wenn es auch nur diese eine Ausnahme gab ... Ich habe also angefangen, einige Dinge in Bewe- gung zu setzen.«
Sie nippte an ihrem Glas und ließ ein trauriges Lä- cheln folgen.
»Ach, ja! Wie gut es ist, wenn man Ansehen und Stel-
lung genießt! Bevor mein Buch erschienen war, war ich nur eine von vielen Collegeprofessorinnen. Und schon nachdem es eine Woche lang in der Bestsellerliste ge- führt worden war, war ich berühmt und einflußreich! Ich erinnere mich, daß ich bei unserer ersten Begegnung für Publicity und Medien nur Verachtung übrighatte. Damals wußte ich noch nicht, wie ich sie mir zunutze machen konnte ...
Na ja, egal. Entscheidend ist, daß ich Zugriff auf ein
weites Feld von Daten hatte, von deren Existenz ich kei- ne Ahnung gehabt hatte, bevor ich anfing, meine Nase hier und dort reinzustecken. Ich wußte zum Beispiel nicht, daß es bei uns Abteilungen der Polizei gibt — wie hier bei Ihnen übrigens genauso —, die nicht routine- mäßig echte Fakten einspeichern, sondern auch Gerüch-
te, Klatsch und Verdächtigungen. Habe ich eigentlich erwähnt, daß der besagte Brief aus England stammte?«
»Nein.« Peter beugte sich jetzt vor und nahm jedes Wort aufmerksam in sich auf.
»So war es. Also, aus reiner Neugier und ... wie heißt
dieser anschauliche Ausdruck, wenn jemand eine Sache unbedingt verfolgen muß?«
»Man hat Blut geleckt?« schlug Peter nach kurzem Nachdenken vor.
»Genau! Na ja, jedenfalls aus einem so ähnlich gear- teten Drang stöberte ich überall herum und entdeckte, daß ich einige überaus merkwürdige Informationen ab- rufen konnte. Später werde ich Ihnen erklären, wie das
genau funktionierte, doch im Moment sage ich nur, daß
es sich um Polizeidaten handelte. Sie sind ... nun, man könnte sagen >im Hinterstübchen<. Aber hin und wieder öffnen sie dieses Stübchen, um soziologische Forschun- gen zu unterstützen. Nach dem Erscheinen meines Bu- ches war ich zur offiziell anerkannten Forscherin aufge-
rückt. Dank sei dem Gönner, der meinen Namen auf die Liste der Auserwählten gesetzt hatte!
Und auf diese Weise fand ich heraus, daß es minde-
stens zehn Fälle gab, die allem Anschein nach meine dogmatischen Behauptungen untergruben.«
Und wieder ein großzügiger Schluck Whiskey. Aus Angst, sie könnte die Sache übertreiben und irgend- wann total voll sein, bevor sie ihm endlich ihr Geheim-
nis verraten hätte, sagte Peter: »Befinden sich Ihre Ent- deckungen auf der Diskette, die Sie mitgebracht ha- ben?«
Claudia war für eine Weile ins Grübeln verfallen. Jetzt zuckte sie
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