Kinder des Donners
Ge- schwindigkeit in die Höhe, daß die Jeans, die er ihr da-
mals gekauft hatte, jeden Tag mehr von ihrem Schien-
bein unbedeckt ließen. (Memo im Geiste: neue kaufen, und zwar bald!) Ihre glatte braune Haut, ihre anmutige Schlankheit, ihr langes, seidig glänzendes Haar — all das hatte bereits Jungen aus ihrer Schule und der Nach- barschaft angezogen, die mit ihr ausgehen wollten. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte er sie mit ihnen gehen lassen, weil er auf einer Ebene, die tief un- ter seinem Bewußtsein lag, davon überzeugt war, daß sie nicht zu Schaden kommen könnte. In einem Anfall untypischer Unsicherheit hatte er Claudia nach ihrer Meinung dazu gefragt, und er erinnerte sich an ihre schroffe Antwort: »Wir müssen alle irgendwann er- wachsen werden, und sie ist schneller erwachsen ge- worden als die meisten. Sie kann gut auf sich selbst auf- passen!«
Es war zugegebenermaßen ein Risiko, doch das er- sparte ihm die Sorge um einen Babysitter. (Baby? Doch das behielt Peter für sich.)
Nachdem er kurz nachgedacht hatte, sagte er: »Weißt du, du könntest recht haben. Wenn etwas Wahres dran ist an dem, was die Marktforscher behaupten ...«
Im gleichen Moment hätte er sich die Zunge abbeißen
können, als er merkte, was er fast von sich gegeben hät- te. Verlegen bis in die Haarwurzeln, griff er wieder nach
seinem Bierglas.
Doch Ellen ließ wieder ihr klingelndes Lachen hören.
Während sie mit ihrem Sessel näher heranrutschte — er lief auf Rollen —, um sich zum Mitglied ihres Kreises zu machen, sagte sie: »Ich weiß, ich weiß! Die Zeitungen und Zeitschriften zielen auf eine Leserschicht mit dem geistigen Horizont von Zwölfjährigen, stimmt's?«
»Äh ...«
»Ich bin zwar schon ein bißchen älter als zwölf, aber nicht viel, also könnte ich als Prüfstein herhalten, rich- tig?«
Nicht zum erstenmal hatte Peter den Eindruck, daß diese Tochter, die ihm zufällig ins Haus geschneit war, eine überaus wertvolle Bereicherung war. Doch wie würde ihr Zusammenleben in einigen Jahren aussehen? Wenn sie heute schon so scharfsinnig und geistig wach
war, trotz der Dinge, die sie durchgemacht hatte, würde sie zwangsläufig ...
Eine...
Doch er erweiterte den Gedanken zu der Bedeutung »und was für eine!« Jetzt war er in der Lage, zu Claudia
zu sagen: »Wir müßten ihr zunächst unheimlich viel er- klären, oder nicht?«
»Da bin ich gar nicht so sicher.« Claudia betrachtete
Ellen mit einem forschenden Blick. »Ich glaube, sie hat mit großer Aufmerksamkeit zugehört, über was wir ge- sprochen haben, weil es deinen Job betrifft. Ebenso wie sie die Fernsehnachrichten verfolgt und alle Zeitungen liest, weil es etwas mit der Arbeit zu tun hat, mit der du deinen Lebensunterhalt verdienst.«
Peter zuckte innerlich zusammen; er hatte gar nicht gemerkt, daß sie so eifrig an seinem und Ellens Alltags- dasein Anteil nahm.
Aber andererseits gehörte das wohl zu ihrer norma- len Veranlagung. Er hätte sich nicht vorstellen können,
daß sie es unterlassen könnte, einen Kollegen zu erfor- schen ...
Er sagte mit mehr Grobheit, als er beabsichtigt hatte: »Na gut, von mir aus. Wir werden unsere Präsentation an ihr ausprobieren und sehen, ob sie bei Jake Lafarge
zünden könnte. Ich nehme nicht an« — und jetzt klan- gen seine Worte unwillkürlich bissig —, »daß sein gei- stiger Horizont weiter als Ellens ist.«
Totenstille, abgesehen von den Geräuschen, die von
der Straße hereindrangen (wieviel weniger das waren, ging es Peter nebenbei durch den Kopf, als in der Woh- nung, in der er früher gewohnt hatte und in der Claudia jetzt wohnte: wieviel seltener die Sirene der Feuerwehr oder Polizei, der Krach von Aufruhr oder Tumult, zer- brechendes Glas ...)
Ellen war aufgesprungen, mit glühenden Wangen und schmollenden Lippen.
»Wenn du dich nur über mich lustig machen willst...!«
Er streckte einen Arm aus und fing sie ab, als sie aus
dem Raum stürzen und in ihrem Zimmer verschwinden wollte; dann zog er sie zu sich, bis sie auf seinen Schoß plumpste.
»Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid! Ich habe mir
nichts dabei gedacht. Ich meine, es war nicht gegen dich gerichtet, sondern gegen Jake! Er ... — ach was, lassen
wir das! Du kannst dir einen Eindruck von ihm machen, wenn du das Blatt liest, dessen Chefredakteur er ist, okay?«
Mit einemmal lächelte Ellen wieder. Er legte einen Arm um sie, um sie an sich zu drücken, und legte eine
Wange an ihre weichen
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