Kinder des Feuers
knapp dem Tod entronnen, ihre Welt hatte sich zu oft als zerbrechlich erwiesen und zu viele der eigenen Entscheidungen als fehlbar, um nun zu zaudern und nicht nach der Hand des Menschen zu greifen, der das eigene Geschick spiegelte und erträglich machte.
Erst hielten sie sich nur an den Händen, dann lagen sie sich in den Armen. Er hätte sie geküsst, wäre er sich nicht plötzlich des Schweigens gewahr geworden, das sich über sie senkte. Da erst kehrte er aus jener kleinen Welt, die nur ihm und ihr gehörte, in jene große zurück, in der man ihn verwirrt musterte und in der Sprotas Frage im Raum stand – die Frage an Mathilda, ob sie ihr helfen würde. Arvid wusste, worauf Sprota hoffte, und seine erste Regung war, sich schützend vor sie zu stellen und ihr zu verbieten, sich an der Sache zu beteiligen.
Aber nun löste sich Mathildas Blick wieder von seinem.
»Was ist geschehen?«, wollte sie wissen.
Und ehe Arvid es verhindern konnte, trat Sprota zu ihr und zog sie von ihm weg.
»Richard ist in höchster Gefahr«, berichtete sie atemlos. »Immer noch hält er sich an König Ludwigs Hof in Laon auf, doch während der zunächst noch versucht hat, den Anschein von Gastfreundschaft zu vermitteln, wird Richard seit Monaten immer schlechter behandelt – nämlich als das, was er in Wahrheit ist: eine Geisel, ein Gefangener.«
Sprotas Lippen bebten, und Mathildas Blick färbte sich mitleidig.
Gleiches Mitleid hatte auch Arvid überkommen, als er einige Tage zuvor zum ersten Mal die Neuigkeiten aus Laon vernommen hatte – und er war überrascht gewesen über die Heftigkeit des gerechten Zorns, der in ihm hochgestiegen war. Erst jetzt war ihm klar geworden, dass er nach seiner Flucht aus Jumièges nicht nur ein für alle Mal mit dem Klosterleben abgeschlossen, sondern zugleich Partei ergriffen hatte – gegen das Fränkische, für das Normannische. Das schäbige Verhalten Ludwigs gegenüber dem jungen Grafen empörte ihn nicht minder als das von Abt Martin gegenüber ihm selbst, und beides erlaubte ihm nicht länger, den Unbeteiligten zu spielen, den Staatsgeschäfte nichts angingen.
Eben schaltete sich Botho, der Pate des Knaben, ein: »Richard durfte früher regelmäßig ausreiten und zur Jagd gehen – seit geraumer Zeit ist ihm das jedoch verboten. Gerberga wiederum, die Gattin des Königs, die sich früher noch manch höfliche Geste abgerungen hat, verbirgt ihre Feindseligkeit nicht länger. Sie hält Richard für eine Gefahr – nicht zuletzt für ihren Sohn und Thronerben Lothar. Und obendrein hat sie eben einen zweiten Sohn geboren, Karl, für den sie gern die Grafschaft einfordern würde. In jedem Fall erlaubt sie es Richard nicht länger, an den königlichen Mahlzeiten teilzunehmen.«
Osmond trat vor, das Gesicht gerötet. »Ich wollte mir das nicht bieten lassen, habe eines Tages ertrotzt, dass Richard doch mit mir zur Jagd ausreitet. Als wir wiederkehrten, empfing uns Gerberga geifernd und tobend. Sie hat den jungen Grafen als Hurensohn beschimpft und angedroht, dass Richard geblendet und kastriert werde, sollte er die Pfalz noch einmal verlassen. Ihr hättet sehen sollen, mit welcher Würde Richard das Geschrei über sich ergehen ließ. Erst hinterher, als wir allein war, zeigte er, wie verzagt er sich fühlte.«
Sprotas Hände krallten sich förmlich um Mathilda, und einmal mehr stritt in Arvid der gerechte Zorn auf Richards Widersacher mit dem Bedürfnis, Mathilda zu schützen. Selbst konnte er nicht mehr unparteiisch sein, doch kurz wünschte er, sie würde es bleiben.
»Wie kann ich euch nun helfen?«, fragte sie jedoch eifrig.
»Gottlob konnte Osmond unter einem Vorwand Laon verlassen, um uns die Neuigkeiten zu überbringen«, sagte Sprota. »Er wagte sich nicht nach Rouen, aus Angst, König Ludwig würde davon erfahren – jedoch hierher zu mir. Keine Seele schert sich um mich und Esperlenq, also konnten wir die Großen der Normandie zu diesem Treffen laden, ohne Ludwigs Misstrauen zu erwecken.«
Mathilda blickte nachdenklich von einem zum anderen. Erst jetzt nahm Arvid die Spuren von Erschöpfung an ihr wahr. Im ersten Augenblick hatte nur gezählt, dass sie da war – nun war er voller Sorge, zu sehen, wie sehr ihr die letzten Jahre zugesetzt hatten. Doch kündeten auch Augenringe von Hunger, Angst und Auszehrung – ihr Blick war hellwach.
»Und was ist nun euer Plan?«, fragte sie.
Bernhard der Däne trat vor. »Die Lage ist alarmierend, aber noch glaubt Ludwig, dass wir ihm
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