Kinder des Feuers
vertrauen – und dabei soll es fürs Erste bleiben. Wenn wir ihn offen für sein Verhalten gegenüber Richard kritisieren, könnte seine Maske allzu bald fallen. Nur wenn wir ihn in Sicherheit wiegen, bleibt die Hoffnung, dass er Richard nicht sofort aus dem Weg schaffen lässt … und die Normandie angreift.«
»Das heißt«, erklärte Botho, »wir können nicht offen seine Freilassung fordern, um ihn zu retten. Wir müssen ihn heimlich befreien.«
Sprota drückte wieder ihre Hand. »Und du, Mathilda, kannst uns dabei helfen.«
Das erste Mal seit ihrem Wiedersehen las Mathilda in seinen Zügen, was auch in ihren stand – die Erkenntnis, dass das Schicksal sie nicht um ihrer beider Glück willen zusammengeführt hatte, sondern um ihnen eine Aufgabe zuzuteilen.
»Wie kann ich helfen?«, fragte sie.
»Der Graf von Alençon«, schaltete sich Osmond ein, »ist einer unserer Verbündeter. Er hat uns darin bestärkt, auf eine List zu setzen.« Der Zweifel in seiner Stimme bekundete, dass ihm ein offener Kampf lieber gewesen wäre, aber das sagte er nicht laut.
»Und damit diese List aufgeht, ist eine Frau vonnöten«, sagte Sprota. »Eine Frau wie du …«
Mathilda blickte von Arvid zu ihr und wieder zu Arvid. Augenblick um Augenblick verstrich in Stille.
»Was immer notwendig ist, um Richard zu helfen«, verkündete sie schließlich entschlossen, »ich bin bereit, es zu tun.«
Bis zum Morgengrauen tagte der Rat. Einzelheiten des Plans wurden ausgeheckt und wieder verworfen, Vorschläge begeistert aufgenommen und wieder angezweifelt, und endlich stand fest, welcher Schritt unverzichtbar war, um Richard zu befreien, und welcher zu riskant. Am Ende der Nacht waren sie müde, aber guten Mutes.
Sprota hatte Mathilda einen Eintopf aus Schweinefleisch, Kichererbsen und Linsen bringen lassen. Es war eine Wohltat, sich endlich wieder einmal satt zu essen, wenngleich sie hinterher vermeinte, ihr Magen wäre voller Steine. Sie fühlte sich dennoch ein wenig erholter. Eine Anspannung lag in der Luft, der sie sich nicht entziehen konnte. Ganz zufällig war sie in den Kampf um Richards Zukunft und die der Normandie geraten, aber sie hatte keine leeren Versprechungen gemacht. Sie war tatsächlich bereit, ihn mit auszufechten, und sei es nur, um ihrem Leben ein neues Ziel zu geben, nachdem alle anderen Kämpfe ins Leere gelaufen waren. Sie wollte ihre Zukunft auf etwas anderem aufbauen als den wirren Träumen und vagen Erinnerungen, die das Rätsel ihrer Herkunft gebaren.
Welche Rolle Arvid in dieser Zukunft spielen sollte, wagte Mathilda sich noch nicht zu fragen. Zu frisch war die Freude über das unerwartete Wiedersehen. Zu fragil, um sie mit Wünschen und Hoffnungen zu belasten. Es genügte, sich ihr einfach hinzugeben, um erst am nächsten Morgen zu prüfen, wie viel von diesem Glücksgefühl auch bei Tageslicht Bestand hatte.
Doch die Sonne zeigte sich noch nicht, als Arvid bereits den Raum betrat, den Sprota ihr zugewiesen hatte, winzig und einfach, aber sauber, und es erschien ihr nicht anmaßend, dass er hier war, nicht einmal sonderlich erstaunlich, sondern selbstverständlich.
Das Morgen war ungewiss wie nie, vielleicht konnten sie Richard nicht befreien, ehe König Ludwig ihn ermorden ließ und die Normandie überfiel. Vielleicht würden sie beim Versuch, ihn aus Laon zu befreien, alle sterben. Aber genau deswegen galt es, keine Zeit zu verschwenden und keine Worte. Stumm traten sie aufeinander zu, als lenke sie eine unbestimmte Macht, die ihre Schritte gleich groß und gleich schnell ausfielen ließ, und umarmten sich. Mathilda schmiegte sich an Arvid und fragte sich, warum es ihr so schwergefallen war – nach jenen lustvollen Stunden bei ihm liegen zu bleiben und mit ihm zu reden oder ihm Jahre später, nach Wilhelms Tod, gegenüberzutreten anstatt ins Kloster zu fliehen. Es war doch so leicht, ihn zu halten. Es war doch so schön, zu wissen, dass sie zu ihm gehörte. Es war doch so natürlich, sich das lange unterdrückte Begehren einzugestehen, ihn zu berühren, ihn zu streicheln.
Erst nach einer Weile lösten sie sich wieder voneinander.
»Warum bist du nicht mehr im Kloster?«
Sie fragten es wie aus einem Mund. Keiner gab Antwort. In ihren Gesichtern lasen sie Traurigkeit über einen aufgegebenen Lebenstraum – und zugleich die Abgeklärtheit, dass es richtig war, ihn sein zu lassen und ihre Bestimmung woanders zu finden.
»Ich wusste nicht, wo ich hin sollte.« Wieder sagten sie es wie aus einem
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