Kinder des Feuers
Verwandte von ihr«, log sie, »aus der Bretagne. Würde ich lügen, wüsste ich kaum Bretonisch zu sprechen.« Das aber tat sie.
Der Krieger war verblüfft – sie auch. Sie hatte die Sprache oft gehört und verstanden, nie selbst benutzt. Nun tat sie es mit jenem blinden Vertrauen auf ihre Instinkte, die ihr zu überleben geholfen hatten.
Der Mann war deutlich verunsichert. Er bellte einem anderen, der offenbar hinter dem Tor stand, etwas Undeutliches zu. Den Weg gab er noch nicht frei, aber er wagte nicht, sie wegzuschicken, und wenig später kam eine Frau aus dem Haus geeilt.
Die Sprota, die Mathilda kannte, war schmal und klein – die Frau, die ins Freie kam, rundlich. Erst als sie die Fackel hob und Licht auf die vertrauten Züge fiel, erkannte Mathilda sie – und sah zugleich, dass sie hochschwanger war.
»Sprota!«, stieß sie erleichtert aus.
Nicht nur ihr Leib war verändert, auch ihr Gesicht – anders als dieser war es jedoch ausgezehrt und bleich und die Augen rot verquollen wie von vielem Weinen. Doch ganz gleich, wie verzweifelt sie wirkte – vorerst zählte nur, dass es Sprota war. Kraftlos sank Mathilda auf die Knie, um endlich der Erschöpfung nachzugeben.
»Mathilda, was machst du hier?«
»Ich weiß nicht wohin … es gibt keinen anderen Ort als diesen. Ich musste aus dem Kloster fliehen, Bauersleute haben mich aufgenommen, Ingeltrude und Pancras, ihre Namen kannte ich, die der anderen Frau nicht, aber ihre Söhne …«
Ihre Worte wurden im Überschwang der Erleichterung immer wirrer – ein Glück, dass sie nicht auch den Mord gestand. Sprota legte ihr beschwichtigend den Arm auf die Schultern und zog sie hinein.
»Erzähl mir später mehr.«
Bald erreichten sie die Halle – verglichen mit jenen der Burgen von Rouen, Fécamp oder Bayeux sehr einfach, verglichen mit den Bauernhöfen, auf denen Mathilda zuletzt genächtigt hatte, riesengroß. Die Wände und Böden waren kahl, weder gab es Felle noch Bilder und anstelle der duftenden Kerzen und Lampen nur rauchspuckende Fackeln. Aber das Feuer im großen steinernen Kamin knisterte heimelig.
Anstatt dorthin zu stürzen und sich zu wärmen, wie es ihre erste Regung war, zuckte Mathilda zurück. In jener Halle versammelt waren mehrere Krieger, die jenem glichen, der ihr aufgemacht hatte, und einmal mehr fragte sich Mathilda, was diese im Heim eines Müllers zu schaffen hatten. Und warum – jetzt konnte sie bei aller Erleichterung nicht mehr darüber hinwegsehen – hatte Sprota rot verweinte Augen?
»Willst du etwas zu essen? Oder lieber etwas Met oder Wein?«, fragte Sprota.
Mathilda brachte kein Wort hervor. Hunger und Durst schienen nichtig angesichts der Spannung, die über der Halle lag.
»Was geht hier vor?«
Ein ersticktes Schluchzen erklang aus Sprotas Mund. Sie schluckte neue Tränen, konnte die Verzweiflung aber nicht verbergen.
»Du kommst in der Stunde der Not. Ich … wir machen uns schreckliche Sorgen.«
Sie deutete auf die Männer, die in der Nähe des Kamins standen – diese keine Krieger, sondern mit edlen Pelzen bekleidet. Mathilda konnte sich einen überraschten Aufschrei nicht verkneifen, als sie einige hochrangige Normannen darunter erkannte – Bernhard den Dänen, die Herren von Roche Tesson und Briquebec, sogar Osmond de Cent-Villes, den sie doch – zu dessen Schutz – in Laon bei Richard gewähnt hatte.
Verglichen mit ihnen wirkte Esperlenq in seiner Leinentunika klein und ärmlich. Doch sein Blick, ebenso warm wie besorgt, wies ihn als freundlichen, liebeswerten Mann aus.
Eben trat er auf Sprota zu, um sie zu stützen. »Du solltest dich ausruhen …«
»Wie soll ich Ruhe finden, wenn ich meinen Sohn in Gefahr weiß?«, begehrte Sprota auf. »Erst wenn der Plan steht, ihn zu retten, werde ich mich zurückziehen.«
»Dennoch … so setz dich wenigstens.«
Esperlenq führte sie zum Tisch. Er war älter, als Mathilda erwartet hatte, seine Sprache so unartikuliert wie die einfacher Menschen, die mehr arbeiteten als redeten, und verglichen mit Graf Wilhelm war er nicht schön anzusehen. Doch Wilhelm hatte sie nie so besorgt und fürsorglich gegenüber Sprota erlebt.
»Was … was ist mit Richard? Warum ist er in Gefahr?«, fragte sie.
Sprota schlug die Hände vors Gesicht, und auch die versammelten Männer beachteten Mathilda nicht. Wild gingen ihre Stimmen durcheinander. Sie lauschte angestrengt, um zu begreifen, was vor sich ging. Von König Ludwig war die Rede, von seiner Gattin Gerberga, von den
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