Kinder des Feuers
Euphorie trübte. Eirinn, die in den letzten Jahren immer in sich gekehrter geworden war, die kaum ein Wort mit ihr geredet und sich am liebsten verkrochen hatte, trat unvermittelt auf sie zu.
»Ich habe gehört, dass Cadhas Tochter Maura tot ist«, sagte sie kummervoll.
Hawisa nickte grimmig. »Und das hat sie verdient! Sag bloß, du hast Mitleid?«
Eirinn zuckte zurück. Anders als Bruder Daniel, Hasculf und Dökkur hatte sie manchmal Angst vor Hawisa. Und zeigte sie auch. Anders als Bruder Daniel, Hasculf und Dökkur hatte sie jedoch auch das Rückgrat, ihr entgegen eigener Interessen zu trotzen.
»Ja, ich habe Mitleid«, erklärte sie entschlossen. »Ich habe mit ihnen allen Mitleid. Mit Maura, mit ihrer Mutter …«
»Dieser Verräterin!«
»Ich habe auch mit Mathilda Mitleid«, fuhr Eirinn entschlossen fort, »mit dir und sogar mit …«
»Wag es nicht, diesen Namen auszusprechen!«
»Ach, Hawisa«, seufzte Eirinn. Sie sah ein, dass es keinen Sinn hatte, noch mehr zu sagen, aber in ihrem Gesicht stand unendlich viel Traurigkeit.
So will ich nicht sein, dachte Hawisa plötzlich, wütend, ohnmächtig, verwirrt meinetwegen, verzagt manchmal und hoffnungslos, aber nicht … traurig. Ich bin es früher zu oft gewesen.
»Ich kann nicht aufgeben«, murmelte sie. »Ich kann einfach nicht.«
»Ich weiß«, sagte Eirinn mit noch trostloserer Miene.
VII.
Von einem Hügel aus blickten sie auf Laon. In der Mittagssonne war es warm gewesen, doch nun scheuchte beißend kalter Wind die Wolken über den Himmel. Er knickte die mickrigen Reben der Weinberge, die die Hügel bedeckten, und die Halme der Wiesen, die so kurz nach der Schneeschmelze noch braun waren. Die Bauern taten unermüdlich ihre Arbeit auf den Feldern und zeigten sich blind gegenüber der kleinen Gruppe Reisender. Sie waren Fremde gewohnt – hier, in der Nähe der großen Hauptstraße, die Senlis und Köln verband, und auch, dass diese Fremden stets ehrfürchtig innehielten, wenn sie zum ersten Mal einen Blick auf die Stadt warfen, die mit ihrer hohen Mauer eine uneinnehmbare Festung war.
Eine Weile zog die Römermauer alle Aufmerksamkeit auf sich, dann blickte Mathilda südlich auf das Marienkloster und schickte unwillkürlich ein Stoßgebet zum Himmel. In diesem Kloster betete man gewiss öfter um König Ludwigs Heil als um das des kleinen Richard, aber es war trotzdem tröstlich, Menschen in der Nähe zu wissen, die sich dem Ränkespiel der hohen Staatsführung entzogen, weil die Verehrung des himmlischen und einzig wahren Königs das Geschick eines jeden irdischen bedeutungslos machte. Ähnlich hatte sie auch empfunden, als sie durch Reims geritten waren und jene Kirche betrachtet hatten, in der die Könige des Frankenreichs gekrönt wurden. Caput Franciae nannte man diese Stadt, und gewiss wurde jemand wie ihresgleichen hier gehasst, jemand wie Ludwig und seine Frau Gerberga hingegen geliebt, aber sie war eben auch der Ort, wo immer wieder neu der Glaube bekräftigt wurde: Über jedem König steht noch ein anderer, und anders als dessen flüchtige Macht, die er – wie es den wankelmütigen Menschen zu eigen ist – missbrauchen und verlieren kann, steht dessen Ordnung ewiglich.
Nicht nur an das Gebet, das dort unten von den Nonnen gesprochen wurde, dachte Mathilda, sondern auch an jenes, das Sprota wohl eben zum Himmel sandte. Sie war zwar nie fromm gewesen, aber die Angst um den Sohn ließ sie mit sämtlichen Gewohnheiten brechen. Als Mathilda Pˆıtres verließ, hatte sie sie zum ersten Mal in ihrem Leben inniglich umarmt.
»Ich wäre so gern an deiner Stelle!«, hatte sie gerufen. »Ich würde gern selbst helfen, meinen Sohn zu befreien und den verfluchten König und sein Weib in die Schranken weisen.«
Mathilda hatte sich von ihr gelöst und auf den geschwollenen Leib gedeutet. »Aber es ist nicht möglich, also tue ich es für dich.«
Sie war auf ihr Pferd gestiegen und hatte Sprotas Blick selbst dann noch brennend auf sich gerichtet gefühlt, als sie Esperlenqs Heim längst hinter sich gelassen hatten.
Die Reise nach Laon war wortkarg verlaufen: Bernhard und Botho waren beide zurück nach Rouen gekehrt, um Ludwig in Sicherheit zu wiegen. Auch der Herzog von Alençon, der wesentlich an ihrem Plan mitgewirkt hatte, hatte sich auf seinen Besitz zurückgezogen, um – im Falle, dass sie scheiterten – keinen Verdacht auf sich zu ziehen. Osmond wiederum war schon vorgeritten nach Laon, um Richard vorzubereiten. So war sie nur mit
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