Kinder des Feuers
säumten. Erst als sie die große Halle erreichten, ging ihr auf, dass es ein Fehler war, sich den Ort nicht besser eingeprägt zu haben. Wenn ihr Plan aufging, war es wichtig, sich hier allein zurechtzufinden. Doch nun war es zu spät dafür.
In der Halle war die Luft warm und stickig, es roch nach Fleisch und Fett, eine volle Schüssel stand vor der Königin Gerberga. Die starrte jedoch nur angewidert auf das Essen und nahm keinen Biss davon. Obwohl sie vor nicht langer Zeit ein Kind geboren hatte, war sie ungemein dürr – ein Eindruck, der von ihrem spitzen Gesicht verstärkt wurde. Dennoch wirkte sie nicht hilflos oder zart, ihr Blick glich eher dem eines Raubvogels, als sie ihn von der Schüssel hob und die Eintretenden musterte.
Mathilda war sich nicht sicher, ob sie etwas sagen oder besser warten sollte, dass Gerberga das Wort an sie richtete. Arvid war offenbar genauso unschlüssig, denn Moment für Moment verging in angespanntem Schweigen.
»Ein Priester und eine Amme«, stellte Gerberga schließlich fest. Aus der heiser anmutenden Stimme ließ sich nicht heraushören, ob sie es freundlich oder verächtlich meinte.
Mathilda rief sich in Erinnerung, was sie von Gerberga wusste: Nicht nur Gattin eines Königs war sie, sondern auch die Tochter – die vom ostfränkischen Heinrich nämlich, und nunmehr, nach Heinrichs Tod, auch die Schwester eines solchen, von Otto, den man den Großen nannte, König von Germanien. Anders als anderen Frauen ihres Ranges – oft Spielball von Vätern, Brüdern, Vettern, Gatten – sagte man ihr einen nüchternen Verstand und den Ehrgeiz nach, eigene Entscheidungen zu treffen und die Staatsgeschäfte nicht den Männern zu überlassen. Ging es um Richards Wohl und Zukunft, drohte von Gerberga darum fast noch größere Gefahr als von Ludwig.
»Wir haben von der Krankheit des jungen Grafen gehört«, sagte Arvid, nachdem sie in Schweigen verharrte. »Wir möchten uns gern mit eigenen Augen überzeugen, dass es ihm gut geht.«
»Habt ihr etwa daran Zweifel, dass der König seinen Schützling nur den besten Ärzten anvertraut?« Die eben noch sehr heisere Stimme wurde schrill, gleichwohl Mathilda keinen Augenblick daran glaubte, dass die Empörung echt war. Richards Krankheit kam einer wie Gerberga gerade recht.
»Mitnichten!«, rief Arvid. »Doch letztlich obliegt es nicht den Ärzten, sondern allein Gottes Ratschluss, ob er wieder gesund wird. Falls ja, wollen wir die freudige Nachricht in seiner Heimat verkünden, falls nein, wollen wir für seine arme Seele beten.«
Gerberga nickte nunmehr vermeintlich verständnisvoll, aber Mathilda entging das triumphierende Blitzen in ihren Augen nicht. »Die Ärzte haben eine strenge Diät angeordnet, aber bis jetzt hat diese keinen Nutzen gebracht. Richard magert zunehmend ab, und ich fürchte, in diesem Zustand ist es nicht angeraten, ihn zu erregen. Der König selbst hat befohlen, niemanden zu ihm zu lassen.«
»Aber das wird sicher nicht für jemanden gelten, der im Auftrag seiner Mutter kommt«, schaltete sich Mathilda ein. »Ihr seid doch auch eine solche. Ihr wisst, wie es ist, wenn Sorgen um Kinder ein armes Frauenherz zermürben. Schickt uns nicht fort, ohne Sprota etwas … Klarheit zu schenken.«
Gerbergas Blick bohrte sich in Mathilda. Die bekam Angst. Würde die Königin sehen, was den Wachen entgangen war? Nämlich, dass sie zu jung war, um Richards Amme zu sein? Aber das Licht im Saal, von Fackeln aus Birkenrinde gespendet, war zu trübe. Schatten tanzten auf Gerbergas Gesicht – und wohl auch auf dem Mathildas.
Plötzlich wurde der stechende Blick Gerbergas müde. Vielleicht kannte sie keine tiefe Mutterliebe, aber das Trachten, ihren Mann noch mächtiger zu machen, war gewiss vom Wunsch genährt, solcherart auch ihren beiden Söhnen eine große Zukunft zu sichern, und die Angst, dabei zu scheitern, ein steter Begleiter ihres Lebens – nicht zuletzt bei einsamen Mahlzeiten wie dieser. Sie schob die noch volle Schüssel zurück und erhob sich. Endlich nickte sie.
»Seht nach ihm, wenn ihr unbedingt wollt. Aber ich warne euch – wenn ihr anderes plant als bloß einen Krankenbesuch, werde ich keine Gnade zeigen, nur weil ihr eine Frau und ein Priester seid.«
Sie waren darauf vorbereitet worden, dass er bleich und abgemagert war, jedoch nicht, dass Richard überdies an starken Leibschmerzen litt. Als sie sein Gemach betraten, wälzte er sich im Bett, stieß klagende Laute aus und überdrehte die Augen ins Weiße.
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